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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Karlshorst und wurden in einer kleinen, geräumten Villa, dicht neben dem Kasernement der Pionier- und Ingenieur-Schule, abgesetzt. Es war etwa 13 Uhr. Wir waren ganz unter uns. Gelegentlich erschien ein Reporter, es wurden Lichtbilder von uns aufgenommen, bisweilen besuchte uns ein russischer Dolmetscher-Offizier. Er konnte mir nicht sagen, wann der Akt der Unterschrift unter die Kapitulationsverhandlung stattfinden werde, von der man mir übrigens schon auf dem Flugplatz einen deutschen Abdruck übergeben hatte.
    Ich konnte daher den von Jodl paraphierten Vorvertrag mit diesem Wortlaut vergleichen, stellte aber nur unwesentliche Abänderungen fest. Die einzig entscheidende war die Einfügung von Strafandrohungen gegen Truppen, die zur vorgesehenen Zeit nicht die Waffen niederlegen und sich ergeben würden. Ich forderte daher von dem Dolmetscher-Offizier einen Bevollmächtigten des Generals Schukow, weil ich diese Ergänzung nicht ohne Vorbehalt unterschreiben werde. Es erschien dann auch nach einigen Stunden ein russischer General mit dem Dolmetscher- Offizier und nahm meinen Einspruch entgegen; er war, glaube ich – der Chef des Stabes von Schukow.
    Ich erklärte ihm den Grund meines Einspruches dahin, daß ich keine Gewähr hätte über den zeitgerechten Empfang unseres Befehls zum Niederlegen der Waffen, so daß sich Truppenbefehlshaber berechtigt fühlen könnten, einer solchen Aufforderung nicht zu entsprechen. Ich forderte die Einschaltung eines Satzes, wonach die Übergabe (Kapitulation) in Kraft sei erst 24 Stunden nach Eingang unseres Befehls bei der Truppe, bevor Strafmaßnahmen wirksam werden dürften. Nach etwa einer Stunde kehrte der General zurück, mit dem Bescheid, Gen. Schukow sei einverstanden mit einer Frist von 12 Stunden – statt 24 –. Er forderte nunmehr meine Legitimation zur Einsicht durch die Vertreter der Siegermächte, ich würde sie alsbald zurückerhalten. Als Termin für [den] Unterschrift-Akt nannte er «gegen Abend».
    Gegen 15 Uhr wurde uns ein reichliches Frühstück durch russische Mädchen serviert. Unsere Geduld wurde auf eine schwere Probe gestellt.
    Gegen 17 Uhr wurden wir in ein anderes Haus geführt und dort mit einer Vesper bewirtet, aber es erfolgte nichts. Man brachte mir meine Vollmacht zurück, mit der Bemerkung, es sei alles in Ordnung, aber die Zeit der Unterschrift wußte man angeblich nicht. Gegen 22 Uhr wurde ich ungeduldig und ließ offiziell anfragen, wann der Akt der Unterschrift stattfinde; die Antwort lautete, etwa in einer Stunde. Gegen Abend hatte ich unser bescheidenes Gepäck aus dem Flugzeug holen lassen, weil der, als sicher, erwartete Rückflug nicht mehr möglich war.
    Kurz vor 24 Uhr, als dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kapitulation, wurde ich mit Begleitung in das Kasino der Kaserne hinübergeführt. Wir betraten mit dem Glockenschlag 24 Uhr den großen Saal durch eine große Seitentür, und wurden an die unmittelbar gegenüberstehende Längstafel geführt, wo drei Sitzplätze für mich und die beiden Begleiter noch frei waren. Unsere Begleitung mußte hinter uns stehen. Der Saal war bis zum letzten Winkel gefüllt, von zahlreichen Jupiterlampen hell erleuchtet. Eine Quer- und drei Längsreihen waren dicht besetzt. Den Vorsitz an der Quertafel hatte General Schukow, rechts und links von ihm die Bevollmächtigten Englands und Amerikas.
    Als der Chef des Stabes von Schukow mir den Vertrag in drei Sprachen vorlegte, verlangte ich von ihm Aufklärung über die von mir geforderte Einschränkung der Strafbestimmungen, die im Text doch nicht enthalten sei. Er ging zu Schukow zurück und kam nach kurzer Besprechung mit ihm, die ich beobachten konnte, wieder zu mir, mit der Mitteilung, Schukow sage mir die Nichtanwendung von Strafmaßnahmen mit einer Fristverlängerung von 12 Stunden ausdrücklich zu.
    Der feierliche Akt begann mit wenigen einleitenden Worten; dann fragte Schukow mich, ob ich den Kapitulationsvertrag gelesen habe? Ich antwortete: «Ja.» Die zweite Frage lautete, ob ich zur Anerkennung durch Unterschrift bereit sei. Ich antwortete erneut mit lautem: «Ja!» Es begann sofort die Unterschrift-Zeremonie, dann Beeidigung, nachdem ich zuerst unterschrieben hatte ... Nach Abschluß verließ ich, durch die nahe Tür hinter mir, den Saal mit meinem Gefolge.
    Nunmehr wurden wir in unsere kleine Villa zurückgeführt; in unserem ersten Aufenthaltsraum am Nachmittag war eine mit kalten Speisen vollbeladene Tafel aufgebaut mit verschiedenen

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