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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sprechen. Seine Stimme versagte durch die Verletzung ganz, wenn er sich aufregte.
    Dann bemerkte einer der unten stehenden Offiziere unsere Verzweiflung. Er befahl dem Volkssturmmann, meinen Vater an Bord zu lassen. Der weigerte sich. Dann, in einem unbewachten Augenblick, zeigte der Offizier meinem Vater, wie er durch die Reling klettern könnte. Er tat es und war wieder bei uns. Niemand holte ihn mehr herunter, denn es mußte alles sehr schnell gehen.
    Wir fuhren sofort aus dem Hafen, und gleich danach hatte Pillau Großalarm. Vom Schiff aus sahen wir, wie die Stadt bombardiert wurde. Es brannte überall! Dann verfolgte uns ein russisches Flugzeug, aber unsere Flak zwang es zum Abdrehen.
    Wir waren von der Aufregung ziemlich erschöpft und versuchten zu schlafen, wo es sich gerade ergab. Mutti und ich auf den kahlen Eisenplanken, einige auf dem Gepäck, meine Schwester auf einem Tau, und mein Vater saß und schlief auf der Ecke einer Kiste. Und über uns der kalte Nachthimmel.
    Mitten in der Nacht erreichten wir die Halbinsel Hela. Hier sollten wir auf ein größeres Schiff umgeladen werden. Im Hafen brannten drei Schiffe, und Schiffsrümpfe ragten schwarz aus dem Wasser. Ein trostloser Anblick. Wir blieben außerhalb. Dort lag völlig im Dunkel die «Lappland», ein Frachter, der uns übernehmen sollte. Von allen Seiten fuhren Fähren und kleine Schiffe auf die «Lappland» zu. Gegen Morgen, es dämmerte schon, waren wir an der Reihe. Über einen sehr schmalen Steg, mit einer Leine, rechts, als einzigem Halt, mußten wir von dem kleinen auf das große Schiff, über die offne See, die dunkel unter uns lag. Das Gepäck wurde gleichzeitig mit Netzen herübergehievt. Eins dieser Netze öffnete sich über dem Wasser, und der ganze Inhalt, Koffer, Bündel, Kisten und Kinderwagen fielen in die See.
    Dann hatten wir sie erreicht. Die oberen Stockwerke waren zum größten Teil mit Verwundeten belegt. Wir hörten ihr Stöhnen, als wir durch alle Etagen bis nach ganz unten in den Kielraum geschickt wurden. Er war mit Stroh ausgelegt worden.
    Die «Lappland» gehörte zu einem Geleitzug. er bestand aus noch drei weiteren, größeren Schiffen und mehreren Begleitfahrzeugen. Am nächsten Morgen sprach es sich rum, daß die Insel Bornholm in Sicht wäre, gegen Mittag die Insel Rügen, und abends hieß es, wir wären in Kopenhagen angekommen. Ich konnte das fast nicht glauben, aber es war wirklich so.
    Aus dem stickigen, dunklen Kielraum des Schiffes kommend, angefüllt mit dem Erlebten, mit dem Bild unserer zerstörten, chaotischen, verbrannten Heimat vor Augen, sahen wir Kopenhagen vor uns liegen. Ein strahlend blauer Himmel, die hellgrünen Patina-Kuppeln und -dächer, frisches Frühlingsgrün der Bäume und sommerlich bunt gekleidete Menschen am Kai, die uns zuwinkten.
    Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes 1989 Kindersuchdienst UK – 01227 – weiblich
    Familienname: unbekannt
    Vorname: unbekannt
    Angenommenes Geburtsdatum: 20.4.1945
    Fundort: Kam am 20.4. 1945 in das königliche Blindeninstitut auf Refanaes bei Kalundborg, Dänemark. Es soll sich um ein Kind deutscher Flüchtlinge handeln.
    Bekleidung: unbekannt
    Personenbeschreibung: Augen grau, Haarfarbe dunkelblond.
    Der Matrosen-Hauptgefreite
Klaus Lohmann 1910–2002
Travemünde
    Abends. Mit drei Kameraden im Pfarrhaus Holz klein gemacht! Im übrigen ein Tag mit viel Arbeit auf der Schreibstube und dem üblichen Alarm. Abends kommen einige englische Jäger im Tiefflug über uns weggebraust, die Flak feuert wie toll, aber ohne zu treffen.
    *
    Eva Braun 1912–1945
(Berlin)
    An eine Freundin
    Liebes Hertalein!
    Hab’ herzlichen Dank für Deine beiden letzten Briefe und nimm bitte noch nachträglich, meine schriftlichen Geburtstagswünsche entgegen. Die schlechte Telefonverbindung machte es mir unmöglich, sie auszusprechen. Ich wünsche Dir ein baldiges, gesundes Wiedersehen mit Deinem Erwin. Sicher komme ich damit auch Deinem Denken und Fühlen am Nächsten. Hoffentlich kommt der Geburtstagsbrief von ihm noch an. Er kann doch nicht verlorengegangen sein!
    Ich bin sehr froh, daß Du Dich entschlossen hast, Gretl auf dem Berghof Gesellschaft zu leisten. Seitdem gestern Traunstein angegriffen wurde, bin ich nicht mehr so fest überzeugt, daß Ihr in Garmisch sicher seid. Gott sei Dank, daß auch Mutter morgen zu Euch kommt. So brauche ich mir doch keine Sorgen mehr zu machen.
    Wir hören hier bereits den Artilleriebeschuß der Ostfront und haben naturgemäß jeden

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