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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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seit 1890 an der Universität Köln experimentelle Operationen an Tieren durch. Der 32-Jährige ist ein Arzt mit ungewöhnlichem Forscherdrang. In der Universitätsklinik diagnostiziert und behandelt er täglich Kranke, häufig auch Diabetespatienten, denen er mit den ärztlichen Fähigkeiten seiner Zeit kaum helfen kann. Als Internist vermutet er die Ursache der Entstehung von Diabetes in den inneren Organen des Verdauungstraktes. Als er in einer seiner experimentellen Operationsreihen Hunden die Bauchspeicheldrüse entfernt, stellt er fest, dass die Tiere einen Diabetes entwickeln. Minkowski und seine Kollegen nehmen anschließend eine Art Gegenprobe vor. Sie implantieren einem dieser so operierten und nun diabeteskranken Hunde in einer zweiten Operation die Bauchspeicheldrüse eines gesunden Tieres wieder ein. Tatsächlich nimmt das Ersatzorgan seine Arbeit auf, die Blutzuckerwerte des Hundes normalisieren sich.
    Minkowski veröffentlicht seine Entdeckungen, doch auf ein großes Echo in der Fachwelt stoßen sie zunächst nicht. Wenngleich sie nicht gänzlich unbemerkt bleiben: 1903 geht der deutsche Physiologe Eduard Pflüger auf Minkowskis Versuche in einer Veröffentlichung über seine Theorie zur Entstehung von Diabetes ein. Der damals 74-Jährige ist eine unangefochtene wissenschaftliche Autorität in Deutschland. Er gilt als einer der Begründer der Physiologie, die dabei ist, sich als die Wissenschaft vom menschlichen Körper von der eher pragmatisch orientierten Medizin zu emanzipieren. Die Physiologie begreift sich als strenge Naturwissenschaft und will den Körper wie einen unbekannten Kontinent ergründen. Sie will exakt wissen, wie die Organe funktionieren, wie das Nervensystem kommuniziert, welche Rolle das Gehirn spielt. In Pflügers Vorstellung von physiologischer Forschung geht es nicht um schnelle Heilerfolge, sondern um die Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten des Lebens.
    Pflüger vertritt wie der große französische Physiologe Claude Bernard die Auffassung, dass Diabetes ursächlich eine Nervenkrankheit ist. Eine von Bernards bedeutenden experimentellen Entdeckungen war der »Zuckerstich«. Dabei wurde eine bestimmte Region des Hirnstamms eines Kaninchens mit einer Nadel punktiert. Dieser Stich führte bei dem Tier zu erhöhten Blutzuckerwerten und löste Diabetes aus. Wurden anschließend Nervenbahnen zwischen Gehirn und Leber durchtrennt, war der Diabetes plötzlich wieder weg. Pflüger vertrat die Theorie, dass eine Fehlleistung des Gehirns über die Nervenbahnen eine Funktionsstörung der Leber verursacht, die wiederum zur erhöhten Ausschüttung von Glukose im Blut führt. Minkowskis Entdeckung sieht Pflüger zunächst nicht als einen Widerspruch, sondern als Ergänzung. Er ist davon überzeugt, dass beide Mechanismen bei der Entstehung von Diabetes eine entscheidende Rolle spielen: eine Überaktivität des »Zuckerzentrums« im Hirnstamm kann die Krankheit offenbar ebenso verursachen wie ein Versagen der inneren Funktion der Bauchspeicheldrüse. Statt eines »entweder oder« sieht Pflüger in den unterschiedlichen Erkenntnissen zur Diabetesentstehung ein »sowohl als auch«.
    Doch nur ein Jahr später verlagerte sich der Fokus der Fachwelt. Oscar Minkowskis Tierversuche wurden nun in einem neuen Licht betrachtet, nicht als ein Teil der Erkrankung, sondern als Ursache und Schlüssel zur Heilung. 14 Jahre lang hatte sich kaum jemand für seine Forschung interessiert, nun schien sie perfekt in den medizinischen Zeitgeist zu passen. Es war die Ära der aufkommenden Organotherapie. Der französische Physiologe Charles-Edouard Brown-Sequard hatte sie mit seiner Entdeckung der Wirkung eines Extraktes aus dem Hoden männlicher Schweine aufgebracht. Er hatte dieses neuartige Medikament älteren Männern als Verjüngungskur injiziert – und sie zeigte Erfolg. Die Potenz verbesserte sich, das Muskelgewebe wurde gestärkt. Brown-Sequard hatte somit die erstaunliche Wirkung des im Schweinehoden stark konzentrierten männlichen Sexualhormons Testosteron entdeckt, ohne den Stoff selbst zu kennen. Er sprach in der damals üblichen Terminologie von einem Sekret. Die Verjüngungskur des Monsieur Brown-Sequard weckte hohe Erwartungen. Die Idee, dass in tierischen Organen Substanzen stecken, die stark auf den menschlichen Körper wirken, führte zu der Vision von neuen, bahnbrechenden Heilverfahren. Und sie weckte den Geschäftssinn. Endlich eine medizinische Entdeckung, mit der sich Geld verdienen ließ,

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