Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
Vom Netzwerk:
viel Geld. Das erkannten Ende des 19. Jahrhunderts als Erste die Unternehmen der chemischen Industrie. Sie richteten pharmakologische Abteilungen ein und schufen so die Grundlagen für die Entstehung der pharmazeutischen Industrie. Noch stellten Apotheker die Arzneien überwiegend nach Rezepten der Ärzte selbst her. Aber die Einführung von industriell standardisierten Medikamenten war nach 1900 bereits auf dem Vormarsch. Da kam das Konzept der Organotherapie genau zur rechten Zeit.
    Eduard Pflüger muss diese Entwicklung früh erkannt haben. Er ahnte wohl, was diese pragmatische und vereinfachende Sicht des Körpers und seiner Krankheiten für sein Lebenswerk, die Physiologie, bedeuten würde. Pflüger hatte die physiologische Wissenschaft bereits als neue Königsdisziplin der Erforschung des menschlichen Organismus gesehen. Innerhalb eines Jahres musste er nun befürchten, dass sie in ein Nischendasein abgedrängt würde. Pflüger lud Minkowski ein, in seinem Journal Archiv für die gesamte Physiologie zu publizieren – allerdings nur, um ihn anschließend heftig attackieren zu können. Pflüger bezweifelte, dass Minkowskis Hunde-Experimente tatsächlich die ursächliche Rolle der Bauchspeicheldrüse bei der Entstehung von Diabetes beweisen können. Er warf Minkowski und dessen Befürwortern vor, sie verwechselten ein Symptom mit der Ursache und würden so die Erforschung der wahren Zusammenhänge bei der Diabetesentstehung verhindern. Doch die Medizin hatte sich bereits auf die Seite von Oscar Minkowski geschlagen. Pflüger hingegen gingen die Argumente aus. Seine Theorie von der Fehlfunktion des Gehirns war mit den methodischen Verfahren seiner Zeit nicht zu erhärten. Und dann beging er auch noch einen kapitalen Fehler. Er verließ den Boden der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und zweifelte die Richtigkeit von Minkowskis Tierexperimenten öffentlich an, ohne dafür einen Beweis zu haben. Der wehrte sich, indem er seinerseits Pflügers wissenschaftliche Methoden anzweifelte. Aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde ein Krieg der Überzeugungen. Ein Krieg, den Pflüger bereits verloren hatte, als er versuchte, Minkowski als Wissenschaftler zu diskreditieren, und dabei seinen eigenen Ruf ruinierte.
    Minkowskis Experimente mit Organtransplantationen tragen bereits die Züge eines aufkommenden Machbarkeitsbegriffs in der modernen Medizin. Die Möglichkeit, dass Organe wie Ersatzteile einer defekten Maschine austauschbar sein könnten, sollte die Chirurgie der nächsten hundert Jahre prägen. Mit diesem Gedanken der Körper-Reparatur entspricht Minkowskis Forschungsansatz ganz dem Geist des industriellen Maschinenzeitalters, das Anfang des 20. Jahrhunderts für alle Lebensbereiche bestimmend wurde. Pflügers Ideenwelt vom Informationsnetz des Körpers, das über Datenaustausch zwischen dem Gehirn und den Organen die komplexen Systeme des Organismus reguliert, passt dagegen viel besser in das Weltbild unseres heutigen Informationszeitalters. Pflüger ereilte das unbarmherzige Schicksal der meisten Denker, die ihrer Zeit voraus sind. Je mehr er versuchte, sich Gehör zu verschaffen, desto weniger wurde er verstanden.
    1908 meldete sich Eduard Pflüger noch einmal zu Wort. Es war eine Art letzte Beschwörung, seiner Theorie die Chance zu geben, wissenschaftlich untersucht und erhärtet oder widerlegt zu werden. Vergebens – Eduard Pflüger starb 1910 im Alter von 81 Jahren. Die Diabetesforschung hatte sich von ihm und seinen Ideen längst abgewandt. Bereits 1893 war im British Medical Journal ein Artikel von Brown-Sequard erschienen, in dem empfohlen wurde, die Grundlagen der Organotherapie auch auf die Bauchspeicheldrüse anzuwenden und das in ihr befindliche Sekret zu extrahieren und in der Diabetestherapie einzusetzen. Wie wir wissen, gelang dies Banting und Best dreißig Jahre später in Toronto. Sie gaben dem Stoff auch seinen Namen: Insulin – das Sekret aus den Inselzellen (auch Betazellen genannt) der Bauchspeicheldrüse. Es wurde später mit Hilfe von Industrieverfahren in großen Mengen aus den Bauchspeicheldrüsenorganen von Schweinen und Rindern extrahiert und weltweit zur Behandlung von Menschen mit Diabetes auf den Markt gebracht. Die Annahme, dass die Bauchspeicheldrüse ursächlich für die Entstehung von Diabetes verantwortlich ist, wurde damals in Beton gegossen. Pflügers Ideen hingegen gerieten in der Welt der Diabetesforschung schließlich vollständig in Vergessenheit.
    Machen

Weitere Kostenlose Bücher