Das egoistische Gen
„Evolution“ zu geben, und diese verläuft um ein Vielfaches schneller als die genetische Evolution.
Kulturelle Vererbung gibt es nicht nur beim Menschen. Das beste nicht auf Menschen bezogene Beispiel, das ich kenne, hat kürzlich P. F. Jenkins beschrieben. Es ist der Gesang eines Vogels, des Neuseeland-Lappenstares, der auf den Inseln vor der neuseeländischen Küste lebt. Auf der Insel, auf der Jenkins arbeitete, gab es im ganzen ein Repertoire von etwa neun verschiedenen Melodien. Jedes Männchen beherrschte nur eine oder ein paar dieser Melodien. Die Männchen ließen sich in Dialektgruppen einteilen. Zum Beispiel sang eine Gruppe von acht Männchen mit benachbarten Revieren ein spezielles Lied, das Jenkins die CC-Melodie nannte. Andere Dialektgruppen sangen davon abweichende Melodien. Zuweilen hatten die Angehörigen einer Dialektgruppe mehr als einen charakteristischen Gesang gemeinsam. Durch Vergleichen der Melodien von Vätern und Söhnen zeigte Jenkins, daß die Gesangsmuster nicht genetisch ererbt waren. Wahrscheinlich übernahm jedes junge Männchen durch Nachahmung Gesänge von seinen Reviernachbarn, auf eine ähnliche Weise, wie dies auch bei der menschlichen Sprache geschieht. Fast während der gesamten Zeit, die Jenkins dort verbrachte, gab es auf der Insel eine feststehende Zahl von Melodien, eine Art „Melodiepool“, aus dem jedes junge Männchen sein eigenes kleines Repertoire schöpfte. Hin und wieder hatte Jenkins das Glück, die „Erfindung“ eines neuen Gesangs mitzuerleben, der durch einen Fehler bei der Nachahmung einer alten Melodie entstand. Er schreibt: „Wie gezeigt wurde, entstehen neue Gesangsformen auf verschiedene Weise durch Verändern der Tonhöhe, Wiederholung eines Tones, Auslassung von Tönen und Verknüpfung von Teilen anderer bestehender Lieder ... Das Auftreten einer neuen Form war ein plötzliches Ereignis, und das Produkt blieb für eine Reihe von Jahren ziemlich unverändert. Außerdem wurde in einer Reihe von Fällen die Variante in ihrer neuen Gestalt an junge Sänger weitergegeben, so daß sich eine erkennbar kohärente Gruppe von Individuen mit ähnlichem Gesang entwickelte.“ Jenkins bezeichnet die Entstehung neuer Melodien als „kulturelle Mutation“.
Der Gesang der Neuseeland-Lappenstare entwickelt sich in der Tat auf nichtgenetische Weise. Es gibt noch andere Beispiele kultureller Evolution bei Vögeln und Affen, doch sie sind lediglich interessante Kuriositäten. Unsere eigene Art ist es, die wirklich zeigt, was die kulturelle Evolution zu leisten vermag.
Die Sprache ist nur ein Beispiel unter vielen. Kleidermode und Ernährungsgewohnheiten, Zeremonien und Brauchtum, Kunst und Architektur, Ingenieurwesen und Technologie – sie alle entwickeln sich im Verlauf der geschichtlichen Zeit auf eine Art und Weise, die wie gewaltig beschleunigte genetische Evolution aussieht, in Wirklichkeit jedoch nichts mit genetischer Evolution zu tun hat. Doch wie bei der genetischen Evolution kann Veränderung auch hier Fortschritt bedeuten. In gewissem Sinne ist die moderne Wissenschaft der des Altertums überlegen. Unser Verständnis des Universums verändert sich im Laufe der Jahrhunderte nicht nur, es verbessert sich.
Zugegeben, die gegenwärtige stürmische Entwicklung reicht nicht weiter als bis zur Renaissance zurück; davor lag eine düstere Periode der Stagnation, in der die europäische wissenschaftliche Kultur auf dem von den Griechen erreichten Niveau eingefroren war. Aber auch die genetische Evolution kann, wie wir in Kapitel 5 gesehen haben, die Gestalt einer Reihe plötzlicher Sprünge von einem stabilen Niveau zu einem anderen annehmen.
Die Ähnlichkeit zwischen kultureller und genetischer Evolution ist häufig hervorgehoben worden, gelegentlich in Rahmen gänzlich unnötiger mystischer Gedankenverbindungen. Die Ähnlichkeit zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und genetischer Evolution durch natürliche Auslese hat insbesondere Sir Karl Popper erläutert. Ich möchte sogar noch weitergehen, und zwar in Richtungen, die auch von anderen erforscht werden, beispielsweise von dem Genetiker L. L. Cavalli-Sforza, dem Anthropologen F. T. Cloak und dem Ethologen J. M. Cullen.
Als enthusiastischen Anhänger der Darwinschen Lehre befriedigen mich die Erklärungen nicht, die meine begeisterten Mit-Darwinisten für das Verhalten der Menschen vorgebracht haben. Sie haben in verschiedenen Attributen der menschlichen Zivilisation „biologische Vorteile“
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