Das egoistische Gen
ausfindig zu machen versucht. Beispielsweise verstehen sie die Stammesreligionen als einen Mechanismus zur Festigung der Gruppenidentität – nützlich für eine im Rudel jagende Spezies, bei der jedes Individuum beim Erlegen großer und schneller Beutetiere auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen ist. Häufig gehen solche Theorien aus einer Vorstellung der Evolution hervor, die stillschweigend auf der Gruppenselektion beruht, aber sie lassen sich auch im Sinne der orthodoxen Genselektion umformulieren. Es ist gut möglich, daß der Mensch während eines Großteiles der letzten Jahrmillionen in kleinen Verwandtschaftsgruppen gelebt hat. Es mag sein, daß die Einwirkung der Verwandtschaftsselektion sowie der Selektion zugunsten des gegenseitigen Altruismus auf die menschlichen Gene viele unserer grundlegenden psychischen Merkmale und Neigungen hervorgebracht hat. Diese Vorstellungen an sich sind plausibel, aber meiner Meinung nach sind sie auch nicht im entferntesten der gewaltigen Herausforderung gewachsen, eine Erklärung für die Kultur, die kulturelle Entwicklung und die ungeheuren Unterschiede zwischen den menschlichen Kulturen überall auf der Welt zu liefern, von dem krassen Egoismus der Ik in Uganda, wie er von Colin Turnbull beschrieben worden ist, bis hin zu der sanften Uneigennützigkeit von Margaret Meads Arapesh-Indianern. Ich glaube, wir müssen neu beginnen und ganz an den Anfang zurückgehen. Die folgende Aussage mag überraschen, da sie vom Autor der vorigen Kapitel kommt: Ich behaupte, daß wir uns, um die Evolution des modernen Menschen verstehen zu können, zunächst davon freimachen müssen, das Gen als die einzige Grundlage unserer Vorstellung von Evolution anzusehen. Ich bin ein begeisterter Darwinist, aber ich glaube, der Darwinismus ist eine zu gewaltige Theorie, als daß man ihn auf den engen Rahmen des Gens beschränken könnte. Ich werde das Gen als ein Analogon in meine These einbeziehen, nicht mehr.
Was ist im Grunde so Besonderes an den Genen? Die Antwort lautet: die Tatsache, daß sie Replikatoren sind. Von den Gesetzen der Physik nimmt man an, daß sie im gesamten bekannten Universum gelten. Gibt es irgendwelche Grundsätze der Biologie, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie eine ähnlich universelle Gültigkeit besitzen? Wenn Astronauten auf der Suche nach Leben zu fernen Planeten reisen, so können sie erwarten, Lebewesen vorzufinden, die zu fremd und zu unirdisch sind, als daß wir sie uns vorstellen könnten.
Aber gibt es nicht irgend etwas, das für alles Leben gelten muß, wo immer es auch gefunden werden mag und was auch immer seine chemischen Grundbausteine sein mögen? Wenn Lebensformen bestehen, deren chemische Struktur auf Silikon aufbaut und nicht auf Kohlenstoff, oder auf Ammoniak und nicht auf Wasser, wenn Geschöpfe entdeckt werden, die bei minus 100 Grad Celsius zu Tode sieden, wenn eine Form von Leben gefunden wird, die überhaupt nicht auf Chemie beruht, sondern auf elektronischen Schwingkreisen, wird es dann immer noch irgendein allgemeines Prinzip geben, das auf alles Leben zutrifft? Es ist offensichtlich, daß ich das nicht wissen kann, doch wenn ich mich für etwas entscheiden müßte, dann gibt es ein Grundprinzip, auf das ich setzen würde. Nämlich auf das Gesetz, daß alles Leben sich durch den unterschiedlichen Überlebenserfolg sich replizierender Einheiten entwickelt. 1 Das Gen, das Stückchen DNA, ist zufällig die Replikationseinheit, die auf unserem eigenen Planeten überwiegt. Es mag andere geben. Wenn es andere gibt, so werden sie – vorausgesetzt bestimmte zusätzliche Bedingungen sind erfüllt – fast unweigerlich zur Grundlage für einen evolutionären Prozeß werden.
Doch müssen wir uns in fremde Welten begeben, um andere Replikatortypen und andere, daraus resultierende Arten von Evolution zu finden? Ich meine, daß auf diesem unserem Planeten kürzlich eine neue Art von Replikator aufgetreten ist.
Zwar ist er noch jung, treibt noch unbeholfen in seiner Ursuppe herum, aber er ruft bereits evolutionären Wandel hervor, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die das gute alte Gen weit in den Schatten stellt.
Das neue Urmeer ist die „Suppe“ der menschlichen Kultur.
Wir brauchen einen Namen für den neuen Replikator, ein Substantiv, das die Assoziation einer Einheit der kulturellen Vererbung vermittelt, oder eine Einheit der Imitation. Von einer entsprechenden griechischen Wurzel ließe sich das Wort „Mimem“
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