Das egoistische Gen
haben kann, muß eine zusätzliche Bedingung erfüllt sein. Jedes dieser Gebilde muß in Form zahlreicher Kopien existieren, und zumindest einige Gebilde müssen potentiell in der Lage sein – in der Gestalt von Kopien –, einen signifikanten Evolutionszeitraum zu überleben. Kleine genetische Einheiten besitzen diese Eigenschaften; Individuen, Gruppen und Arten besitzen sie nicht. Es war die große Leistung von Gregor Mendel zu zeigen, daß Erbeinheiten in der Praxis als unteilbare und unabhängige Partikel behandelt werden können. Heute wissen wir, daß dies etwas zu einfach ist. Selbst ein Cistron ist gelegentlich teilbar, und keine zwei Gene auf demselben Chromosom sind völlig voneinander unabhängig. Ich habe nun soeben das Gen als eine Einheit definiert, die in hohem Maße dem Ideal des unteilbaren Partikels nahekommt. Ein Gen ist nicht unteilbar, aber es wird selten geteilt. Es ist im Körper eines bestimmten Lebewesens entweder definitiv vorhanden oder definitiv nicht vorhanden. Ein Gen reist intakt von Großvater oder Großmutter zu Enkel und passiert die dazwischenliegende Generation, ohne mit anderen Genen zu verschmelzen. Würden sich die Gene ständig mischen, so wäre die natürliche Auslese, wie wir sie heute verstehen, unmöglich. Dies wurde übrigens noch zu Lebzeiten von Darwin nachgewiesen, und es bereitete ihm großen Verdruß, da man zu jener Zeit annahm, die Vererbung sei ein Mischvorgang. Mendels Entdeckung war bereits veröffentlicht, und sie hätte Darwin aus seinen Schwierigkeiten heraushelfen können, aber leider erfuhr er niemals davon: Erst Jahre später, als Darwin und Mendel bereits beide gestorben waren, scheint sie jemand gelesen zu haben. Möglicherweise erkannte Mendel die Bedeutung seiner Resultate nicht, sonst hätte er vielleicht an Darwin geschrieben.
Ein weiterer Aspekt der Partikelhaftigkeit des Gens ist der, daß es nicht altert; für ein Gen ist die Wahrscheinlichkeit zu sterben im Alter von einer Million Jahren nicht größer als mit hundert Jahren. Es springt von Körper zu Körper durch die Generationen, manipuliert Körper um Körper auf seine spezielle Art und für seine eigenen Zwecke und verläßt einen sterblichen Körper nach dem anderen, bevor dieser in Altersschwäche und Tod versinkt.
Die Gene sind die Unsterblichen, oder besser: Sie sind als Einheiten definiert, die etwas nahekommen, das diese Bezeichnung verdient. Wir, die einzelnen Überlebensmaschinen auf der Welt, können damit rechnen, noch ein paar Jahrzehnte zu leben. Die Lebensdauer der Gene auf der Welt jedoch darf nicht in Jahrzehnten, sie muß in Jahrtausenden oder Jahrmillionen gemessen werden.
Bei Arten mit geschlechtlicher Fortpflanzung ist das einzelne Lebewesen eine zu große und zu vergängliche genetische Einheit, um sich als signifikante Einheit für die natürliche Auslese zu qualifizieren. 3 Die Gruppe von Individuen ist eine sogar noch größere Einheit. Was die Genetik betrifft, sind Individuen und Gruppen wie Wolken am Himmel oder Sandstürme in der Wüste. Sie sind temporäre Ansammlungen oder Zusammenschlüsse, nicht stabil über Zeiträume, wie sie die Evolution benötigt. Populationen können eine lange Zeitspanne überdauern, aber sie mischen sich ständig mit anderen Populationen und verlieren somit ihre Identität. Sie sind außerdem evolutionären Veränderungen von innen her ausgesetzt. Eine Population ist kein ausreichend distinktes Gebilde, um als Einheit der natürlichen Auslese zu dienen; sie ist nicht stabil und nicht einheitlich genug, als daß sie einer anderen Population gegenüber selektiert werden könnte.
Ein einzelner Körper scheint ausreichend distinkt, solange er dauert, doch wie lange ist das schon? Jedes Individuum ist einzigartig. Es gibt keine Evolution durch Selektion, wenn von jedem Lebewesen jeweils nur eine Kopie existiert! Die geschlechtliche Fortpflanzung ist keine Replikation. So wie eine Population von anderen Populationen durchsetzt wird, so wird die Nachkommenschaft eines Individuums von der seines Geschlechtspartners kontaminiert. Unsere Kinder sind nur zur Hälfte wir, unsere Enkel nur zu einem Viertel. In ein paar Generationen ist das Beste, auf das wir hoffen können, eine große Zahl von Nachkommen, von denen jeder nur ein winziges bißchen – ein paar Gene – von uns in sich trägt, selbst wenn einige darüber hinaus noch unseren Familiennamen führen.
Einzelwesen sind keine stabilen Gebilde, sie sind vergänglich.
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