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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Chromosomen werden gemischt und fallen der Vergessenheit anheim wie ein Blatt Karten kurz nach dem Ausgeben.
    Doch die Karten selbst überdauern das Mischen. Die Karten sind die Gene. Die Gene werden durch das Crossing-Over nicht zerstört, sie wechseln einfach ihre Partner und marschieren weiter. Das ist ihre Aufgabe. Sie sind die Replikatoren, und wir sind ihre Überlebensmaschinen. Wenn wir unseren Zweck erfüllt haben, werden wir beiseite geschoben. Die Gene aber sind die Bewohner der geologischen Zeit: Gene sind unvergänglich.
    Gene sind immerwährend wie Diamanten, aber nicht ganz auf dieselbe Art wie Diamanten. Bei den Diamanten ist es ein einzelner Kristall, der als eine unveränderte Atomstruktur fortdauert. Die DNA-Moleküle besitzen nicht diese Art von Beständigkeit. Das Leben jedes einzelnen DNA-Moleküls währt recht kurz – vielleicht ein paar Monate, mit Sicherheit nicht mehr als ein Lebensalter. Doch in Form seiner Kopien könnte ein DNA-Molekül theoretisch hundert Millionen Jahre überdauern. Außerdem sind die Kopien eines speziellen Gens vielleicht über die gesamte Welt verteilt, gerade so wie bei den alten Replikatoren in der Ursuppe. Der Unterschied ist nur der, daß die modernen Ausgaben alle ordentlich im Innern der Körper von Überlebensmaschinen verpackt sind.
    Ich unterstreiche also hier die potentielle Fast-Unsterblichkeit eines Gens in Gestalt seiner Kopien als eine das Gen definierende Eigenschaft. Ein Gen als ein einzelnes Cistron zu definieren, ist für einige Zwecke richtig, für die Zwecke der Evolutionstheorie muß diese Definition jedoch erweitert werden.
    Das Ausmaß der Erweiterung ist vom Zweck der Definition abhängig. Wir suchen die brauchbare Einheit der natürlichen Auslese. Zu diesem Zweck stellen wir zunächst fest, welche Eigenschaften eine erfolgreiche Einheit der natürlichen Auslese haben muß. Im Sinne des vorigen Kapitels waren dies Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Kopiergenauigkeit. Sodann definieren wir ein Gen einfach als das größte Gebilde, das – zumindest potentiell – diese Eigenschaften besitzt. Ein Gen ist ein langlebiger Replikator, der in Form zahlreicher Kopien besteht. Seine Lebensdauer ist nicht unbegrenzt. Selbst ein Diamant ist nicht im buchstäblichen Sinne immerwährend, und selbst ein Cistron kann durch Crossing-Over in zwei Teile aufgespalten werden. Ein Gen ist definiert als ein Stück Chromosom, das so kurz ist, daß es potentiell lange genug   leben kann, um als eine signifikante Einheit der natürlichen Selektion zu fungieren.
    Wie lange genau ist „lange genug“? Eine ausnahmslos gültige Antwort gibt es nicht. Es kommt darauf an, wie stark der „Selektionsdruck“ ist, das heißt, mit wieviel größerer Wahrscheinlichkeit eine „schlechte“ genetische Einheit stirbt als ihr „gutes“ Allel. Ausschlaggebend dafür sind quantitative Einzelheiten, die von Fall zu Fall variieren werden. Es zeigt sich, daß die größte brauchbare Einheit der natürlichen Auslese – das Gen – in der Größenordnung gewöhnlich irgendwo zwischen Cistron und Chromosom liegt.
    Was das Gen zu einem aussichtsreichen Anwärter auf die Einstufung als Grundeinheit der natürlichen Auslese macht, ist seine potentielle Unsterblichkeit. Doch jetzt ist es an der Zeit, das Wort „potentiell“ zu betonen. Ein Gen kann   eine Million Jahre lang leben, doch vielen neuen Genen gelingt es nicht einmal, die erste Generation zu überdauern. Die wenigen neuen Gene, die erfolgreich sind, haben zum Teil einfach Glück, vor allem aber haben sie „das Zeug dazu“, und das bedeutet, sie sind gute Konstrukteure von Überlebensmaschinen. Sie beeinflussen die Embryonalentwicklung jedes der aufeinanderfolgenden Körper, in denen sie sich befinden, derart, daß dieser Körper eine geringfügig größere Chance hat, zu leben und sich zu reproduzieren, als er sie unter dem Einfluß des konkurrierenden Gens oder Allels gehabt hätte. Beispielsweise gewährleistet ein „gutes“ Gen sein Überleben dadurch, daß es dazu neigt, die aufeinanderfolgenden Körper, in denen es sich befindet, mit langen Beinen auszustatten, die diesen Körpern bei der Flucht vor Räubern helfen. Dies ist ein spezielles Beispiel, kein allgemeingültiges. Lange Beine sind schließlich nicht immer ein vorteilhafter Besitz. Für einen Maulwurf wären sie ein Handikap. Doch können wir uns, statt in Einzelheiten steckenzubleiben, nicht irgendwelche universellen Eigenschaften vorstellen, von denen

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