Das egoistische Gen
wir annehmen würden, daß sie in allen guten (das heißt langlebigen) Genen zu finden sein müßten? Und umgekehrt: Welches sind die Eigenschaften, die ein Gen sofort als ein „schlechtes“, das heißt kurzlebiges Gen kennzeichnen? Es mag mehrere solcher universellen Eigenschaften geben, aber eine ist für dieses Buch ganz besonders relevant: Auf der Ebene des Gens muß Altruismus schlecht und Egoismus gut sein. Dies folgt unweigerlich aus unseren Definitionen von Altruismus und Egoismus. Gene kämpfen mit ihren Allelen unmittelbar ums Dasein, da ihre Allele im Genpool Rivalen für ihren Genort auf den Chromosomen zukünftiger Generationen sind. Jedes Gen, welches sich so verhält, daß es seine eigenen Überlebenschancen im Genpool auf Kosten seiner Allele vergrößert, wird definitionsgemäß dazu neigen zu überleben – das ist eine Tautologie. Das Gen ist die Grundeinheit des Eigennutzes.
Die wichtigste Aussage dieses Kapitels ist nunmehr gemacht.
Doch bin ich über einige Schwierigkeiten und stillschweigende Annahmen hinweggeglitten. Die erste Schwierigkeit ist bereits kurz erwähnt worden. So unabhängig und frei die Gene auf ihrer Reise durch die Generationen auch sein mögen, bei der Steuerung der Embryonalentwicklung handeln sie sehr wenig frei und unabhängig. Zwischen den Genen untereinander wie auch zwischen den Genen und ihrer äußeren Umwelt findet auf unentwirrbar komplizierte Weise eine Zusammenarbeit und wechselseitige Beeinflussung statt. Ausdrücke wie „Gene für lange Beine“ oder „Gene für uneigennütziges Verhalten“ sind bequeme Sprachfiguren, aber es ist wichtig, daß wir verstehen, was sie bedeuten. Es gibt kein Gen, das für sich allein ein Bein baut, gleichgültig ob lang oder kurz. Die Fabrikation eines Beines ist ein Unternehmen, das die Zusammenarbeit zahlreicher Gene erfordert. Auch die äußere Umwelt ist daran beteiligt: Letzten Endes werden Beine eigentlich aus Nahrung gemacht! Aber es kann sehr wohl ein einzelnes Gen geben, das unter sonst gleichen Bedingungen gewöhnlich dafür sorgt, daß Beine länger werden, als sie unter dem Einfluß seines Allels werden würden.
Stellen wir uns als ein analoges Bild den Einfluß eines Düngemittels auf das Wachstum von Weizen vor. Jeder weiß, daß Weizenpflanzen bei Zugabe von Nitrat größer werden.
Aber niemand wäre so töricht zu behaupten, daß Nitrat allein ausreicht, um eine Weizenpflanze entstehen zu lassen. Zweifellos sind außerdem Samen, Boden, Sonne, Wasser und verschiedene Mineralien nötig. Doch wenn alle diese Faktoren konstant gehalten werden, selbst dann, wenn sie innerhalb gewisser Grenzen variieren dürfen, wird der Zusatz von Nitrat das Wachstum der Weizenpflanzen fördern. Ebenso ist es mit den einzelnen Genen bei der Entwicklung eines Embryos. Die Embryonalentwicklung wird durch ein Netz aus ineinander verflochtenen Beziehungen gesteuert, das so verwickelt ist, daß wir am besten darauf verzichten, es näher zu betrachten.
Es gibt keinen einzelnen – genetischen oder umweltbedingten – Faktor, der als die einzige „Ursache“ für irgendeinen Teil eines Babys angesehen werden kann. Alle Teile eines Babys haben eine nahezu unendlich große Zahl von Ursachen. Aber ein Unterschied zwischen zwei Babys, beispielsweise in der Beinlänge, könnte leicht auf einen oder ein paar einfache vorangehende Unterschiede zurückgeführt werden. Die Unterschiede sind das, worauf es im Kampf ums Dasein ankommt; und bei der Evolution kommt es auf die genetisch gesteuerten Unterschiede an.
Was ein Gen betrifft, so sind seine Allele seine tödlichen Rivalen, die anderen Gene jedoch sind einfach ein Teil seiner Umwelt, vergleichbar mit der Temperatur, mit Nahrung, Räubern oder Gefährten. Die Wirkung des Gens ist von seiner Umwelt abhängig, und diese schließt andere Gene ein. Manchmal hat ein Gen in Gegenwart eines speziellen anderen Gens eine bestimmte Wirkung und in Gegenwart einer anderen Gruppe von Gengefährten eine völlig andere. Der gesamte Gensatz in einem Körper stellt eine Art genetisches Klima oder genetischen Hintergrund dar, der die Auswirkungen jedes speziellen Gens verändert oder beeinflußt.
Doch hier sind wir scheinbar auf einen inneren Widerspruch gestoßen. Wenn die Herstellung eines Babys ein derart verwickeltes Unterfangen ist und wenn jedes Gen mehrere tausend Gengefährten braucht, um seine Aufgabe zu erfüllen, wie können wir dies mit meiner Darstellung des unteilbaren Gens in Einklang
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