Das egoistische Gen
Kuckucksjunge, einige Tage vor seinen Stiefgeschwistern auszuschlüpfen. Sofort nach dem Schlüpfen wirft es, blind und instinktiv, aber mit verheerender Effizienz, die anderen Eier aus dem Nest. Es schiebt sich unter ein Ei und manövriert dieses in eine Vertiefung auf seinem Rücken. Dann bewegt es sich langsam rückwärts zum Rand des Nestes, wobei es das Ei zwischen seinen Flügelansätzen balanciert, und wirft das Ei hinaus. Dasselbe macht es mit allen anderen Eiern, bis es das Nest und daher die Aufmerksamkeit seiner Pflegeeltern ganz für sich allein hat.
Eine der bemerkenswertesten Tatsachen, von denen ich im vorigen Jahr erfahren habe, ist von F. Alvarez, L. Arias de Reyna und H. Segura aus Spanien berichtet worden. Diese drei Wissenschaftler erforschten die Fähigkeit potentieller Pflegeeltern – also potentieller Kuckucksopfer –, Eindringlinge (Kukkuckseier oder junge Kuckucke) zu entdecken. Im Verlauf ihrer Versuche hatten sie die Möglichkeit, Kuckuckseier und junge Kuckucke sowie zu Vergleichszwecken Eier und Küken anderer Arten, beispielsweise Schwalben, in Elsternnester hineinzulegen. Einmal setzten sie ein Schwalbenküken in ein Elsternnest. Am nächsten Tag bemerkten sie, daß eines der Elsterneier unter dem Nest auf dem Boden lag. Es war nicht zerbrochen, und so hoben sie es auf, legten es wieder zurück und beobachteten, was geschah. Was sie sahen, war im höchsten Grade bemerkenswert. Das Schwalbenjunge verhielt sich genauso, als ob es ein Kuckucksjunges wäre, und warf das Ei hinaus.
Sie legten das Ei erneut zurück, und wieder geschah genau das gleiche. Das Schwalbenbaby benutzte dieselbe Methode wie der Kuckuck, es balancierte das Ei auf seinem Rücken zwischen den Flügelansätzen und bewegte sich rückwärts zum Nestrand, bis das Ei hinauspurzelte.
Vielleicht war es klug, daß Alvarez und seine Kollegen keinen Versuch machten, ihre erstaunliche Beobachtung zu erklären. Wie konnte sich ein derartiges Verhalten im Schwalbengenpool entwickelt haben? Es muß zu etwas passen, das im normalen Leben einer Schwalbe vorkommt. Schwalbenjunge sind nicht daran gewöhnt, sich in Elsternnestern wiederzufinden. Sie befinden sich normalerweise niemals in einem anderen Nest als ihrem eigenen. Könnte das Verhalten eine evolutionäre Anti-Kuckuck-Anpassung darstellen? Hat die natürliche Auslese im Schwalbengenpool eine Politik des Gegenangriffs gefördert, also Gene hervorgebracht, die den Kuckuck mit seinen eigenen Waffen schlagen? Es scheint eine Tatsache zu sein, daß Schwalbennester gewöhnlich nicht von Kuckukken heimgesucht werden. Vielleicht ist dies der Grund dafür.
Dieser Theorie zufolge hätten die Elsterneier in dem Experiment zufällig dieselbe Behandlung erfahren, vielleicht weil sie wie Kuckuckseier größer sind als Schwalbeneier. Doch wenn ein Schwalbenküken den Unterschied zwischen einem großen Ei und einem normalen Schwalbenei erkennen kann, dürfte die Mutter mit Sicherheit ebenfalls dazu in der Lage sein.
Warum ist es dann nicht die Mutter, die das Kuckucksei hinauswirft, da dies für sie soviel leichter wäre als für das Küken?
Derselbe Einwand gilt auch für die Theorie, daß das Verhalten des Schwalbenkükens normalerweise die Funktion hat, unbefruchtete Eier und anderen Abfall aus dem Nest zu entfernen. Wieder könnte die Aufgabe vom Altvogel besser erledigt werden – und wird es auch. Die Tatsache, daß ein schwaches und hilfloses Schwalbenküken dabei beobachtet wurde, wie es die schwierige und Geschicklichkeit erfordernde Operation des Hinauswerfens durchführte, die einer erwachsenen Schwalbe sicherlich viel leichter fiele, zwingt mich zu dem Schluß, daß das Küken, mit den Augen der Eltern gesehen, nichts Gutes im Schilde führte.
Ich könnte mir vorstellen, daß die richtige Erklärung überhaupt nichts mit Kuckucken zu tun hat. Das Blut mag einem stocken bei dem Gedanken – aber könnte es nicht sein, daß Schwalbenjunge sich gegenseitig etwas Derartiges antun?
Da das Erstgeborene mit seinen noch nicht ausgeschlüpften Geschwistern um elterliche Mittel konkurrieren wird, könnte es zu seinem Vorteil sein, wenn es sein Leben damit begänne, eines der übrigen Eier hinauszuwerfen.
Bei der Lackschen Theorie über die Gelegegröße betrachteten wir das Optimum vom Standpunkt der Eltern. Wenn ich eine Schwalbenmutter bin, ist die optimale Gelegegröße von meinem Standpunkt aus gesehen zum Beispiel fünf. Bin ich dagegen ein Schwalbenküken, so kann die in
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