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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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zwölf Jahre alt war, starb Vater in Butte an Lungenentzündung. Meine Schwester Alison kam fünf Monate später zur Welt. Auch sie hatte rotes Haar. Es war ein sehr betrübliches Jahr, verlor aber später an Trauer und gewann an Aufregung und Nervosität, als die »liebe Großmama« eintraf, um Mutter zu trösten und uns die Hölle auf Erde zu bereiten. Sie kleidete uns in geköperten Barchent, zwang uns, Florentiner Hüte zu tragen, und fragte uns eindringlich, wer unsere Kameraden seien und was ihre Väter täten. Sie erlaubte Gammy nicht, den Garten zu bestellen, weil sich das für eine Dame nicht schicke, also mußte Gammy sich, wenn alles schlief, in den Garten schleichen und ihre Kartoffeln nachts um elf Uhr hacken und gießen. Sie gestattete nicht, daß unsere alte schottische Kinderfrau bei uns am Tisch saß, und beleidigte sie, indem sie sie als Dienstboten bezeichnete. Sie trippelte mit gerafften Röcken durch die Straßen, als hätten wir nur hölzerne Fußsteige, und rümpfte die Nase über alles, was sie in den Schaufenstern sah, weil hier eben nicht New York war. Unsere einzige Zuflucht blieb die Waschküche, ein großer Raum an der Rückseite des Hauses, der durch einen Gang und verschiedene Abstellkammern mit der Küche verbunden war. Dorthin zogen wir uns mit Gammy und der Kinderfrau zurück, machten Tee auf dem Waschherd, saßen gemütlich zusammen und redeten über die »liebe Großmama«.
    Als die alte Dame endlich nach New York abdampfte, lebten wir wieder nach unserem Geschmack, und die Tage verliefen ähnlich wie vor Vaters Tod, nur waren wir jetzt ärmer, und es bevölkerten weniger Mutters und Vaters und Gammys Freunde das Haus als Marys Freunde. Aus Ersparnisgründen hatten wir bis auf Klavier- und Tanzstunden alle anderen Fächer aufgegeben, und im Herbst sollten wir in die städtische Schule gehen.
    In der Höheren Schule war meine Schwester Mary sehr beliebt bei den jungen Leuten, ich aber trug Klammern an den Zähnen und bekam gute Zensuren. Während Mary tanzen ging und sich auf Gesellschaften vergnügte, saß ich daheim, studierte die Geschichte des Altertums oder spielte Mahjong mit Cleve. Mary brachte unzählige junge Männer ins Haus, aber sie brachte auch unzählige junge Mädchen mit, und so blieb es mir meist vorbehalten, in der Küche Waffeln zu backen und Geschirr abzuwaschen, vorsorglich eine Schürze über mein Staatskleid und mein gramvolles Herz gebunden. Gammy pflegte mir zu sagen, ich sei ein Typ für »ältere Männer«, aber da ich mir »ältere Männer« so vorstellte wie die Brüder Smith auf der Hustenbonbonschachtel, fand ich den Gedanken wenig tröstlich. Zu allem Unglück hörte ich plötzlich auf, mager und bleich zu sein, und wurde rosig und dick. Ich bekam einen großen, festen Busen und einen großen, festen Bauch, und das war gar nicht modern. Modern waren Figuren, wie sie meine Freundin hatte, die sehr groß und sehr schlank war und nur zweiundvierzig Kilo wog. Sie hatte einen ziemlich kleinen Kopf und sehr schmale Schultern und sah vermutlich wie ein Thermometer aus, aber mir erschien sie der Inbegriff aller Schönheit. Ich kaufte meine Kleider so eng, daß das Hineinschlüpfen ein Kunststück war, und begann schwarzen Kaffee zu trinken und zu rauchen. Aber es nützte alles nichts; gleich unterm Kinn reckte sich mein großer, fester Busen vor und nicht viel tiefer mein großer, fester Bauch. Sicher hatte auch Mary Busen und Bauch, aber sie schienen sie nicht im geringsten zu stören. Vielleicht kam das daher, daß sie ein »Privatleben« hatte. Sie wurde »Torchy« genannt, was soviel wie Fackel bedeutet, und im Schulkalender zu Jahresschluß stand unter ihrem Bild: »Torchy, die den Pfeffer pfeffert.« Unter mein Konterfei war in offensichtlicher Verlegenheit geschrieben worden: »Eine Musterschülerin und treue Freundin.«
    Ich stellte mich im Haushalt sehr geschickt an, und Mutter lehrte mich, wie man die Leintücher Saum auf Saum zusammenlegt und Betten macht, daß sie wie gemalt aussehen. Gammy zog ohne viel Federlesens ihre Decke über die kalt gewordene Wärmflasche, die Nachthemden, Fläschchen, Bücher, und was sie sonst noch im Bett verstaut hatte, und wenn Mutter behauptete, was man mache, solle man recht machen, tat Gammy diesen Einwand ungeduldig mit der Erwiderung ab: »Ach, sei nicht so etepetete. Überflüssige Arbeit. Man muß es ja morgen wieder machen!«
    Mutter deckte jeden Abend den Tisch mit Kerzenleuchtern, Silber, Kristall und

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