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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Montana, von der Zeit seines Studiums auf der Landwirtschaftlichen Schule und seiner ersten Stellung als Aufseher auf einer Hühnerfarm. Von der Weizenplantage sprach er in dem wenig begeisterten Tone, mit dem jemand von den ersten fünfzehn Jahren seiner Arbeit beim Zuckerbäcker berichtet, und ich hatte den unumstößlichen Eindruck, landwirtschaftliche Arbeit sei in Bobs Augen eine keineswegs lohnende Schufterei. Doch dann begann er von der Hühnerfarm zu reden, verweilte bei Einzelheiten und schwärmte, wie es sonst nur Mütter tun, wenn sie von den süßen, kleinen Schuhchen ihres Erstgeborenen erzählen. Als er bei den Zahlen ankam, den Kosten pro Henne und pro Ei, den Kosten pro Dutzend, dem Vorteil offener Gehege, der genauen Raumbemessung nach Anzahl der Hennen bei Erstellung eines Scharraums, da schwang in seiner Stimme so viel Sehnsucht mit, daß einem das Zuhören ähnlich vorkam wie der Schwimmversuch am Rande eines Wasserstrudels. Zu guter Letzt offenbarte er mir, daß er in der Nähe eines kleinen Ortes an der Küste, wo er geschäftlich manchmal hingekommen sei, ein Plätzchen entdeckt hätte, das für eine Hühnerfarm ideal und überdies sehr günstig zu erwerben wäre. Was ich davon hielte? Was hielt ich davon? Mutter hatte mir gepredigt, ein Mann müsse sich bei seiner Arbeit wohl fühlen, und wenn Bob sich auf einer Hühnerfarm wohl fühlte, war’s mir recht. Ich hatte gelernt, Mayonnaise zu bereiten, Leintücher Saum auf Saum zusammenzulegen und den Abendbrottisch mit Kerzenleuchtern und Blumen zu schmücken, also konnte es mir egal sein, ob mein Mann im Versicherungswesen oder auf einer Hühnerfarm tätig war, mit meinem Teil der Pflichten würde ich überall fertig werden. So dachte ich. Und so denken viele Frauen, deren Männern beim Anblick der Frühstückseier die Augen vor Rührung überlaufen, was zur Folge hat, daß die Herren der Schöpfung beschließen, das gesparte Geld von der Bank abzuheben und sich fortan der Hühnerzucht zu widmen.
    Warum nur sind die Menschen plötzlich so versessen aufs Hühnerzüchten? Warum wurde Hühnerzüchten der heißersehnte heilige Gral des kleinen Mannes? Etwa, weil jeder Mann heutzutage in der Angst lebt, seine Stellung zu verlieren und dann auf der Straße zu liegen und seine geliebte Familie nicht mehr ernähren zu können, das Hühnerzüchten aber eine Einnahmequelle zu sein scheint, die niemals versiegt? Oder ist es so, weil auf einer Geflügelfarm jeder sein eigener Herr ist und sich nicht mehr durch die schlechte Laune der Vorgesetzten sein Leben verbittern lassen muß? Eins steht fest beim Hühnerzüchten: Wenn eine Henne sich aufsässig benimmt und keine Eier mehr legen will, kann man ihr den Hals umdrehen, womit der Ärger mit ihr ein für allemal aus der Welt geschafft ist. »Wenn du dich nicht anständig aufführst, hast du selbst die Folgen zu tragen«, erklärt man ihr und macht ihrem Leben mit einem säuberlichen Schnitt ein Ende. Ehrlich gesagt, verstehe ich noch, daß dieser Beweggrund genügen könnte, die Sehnsucht so vieler Männer nach Hühnern zu wecken. Aber warum müssen es gerade Hühner sein? Warum nicht Narzissen, Kohlfelder, Gewächshäuser, Kaninchen, Schweine oder Gänse? All das läßt sich auf dem Lande züchten, ohne daß einem ein Vorgesetzter das Leben vergällt, und das Risiko ist bedeutend kleiner als bei Hühnern.
    Am Morgen nach unserer Rückkehr nach Seattle rasselte mich der Wecker um halb sieben aus dem Schlaf, und eine Minute nach halb sieben stampfte Bob bereits in Unterhosen in der Küche unserer kleinen Wohnung herum, kochte Kaffee und schimpfte, ich solle mich beeilen. Um Viertel vor neun waren wir bereits zwölf Meilen im Wagen gefahren und bestiegen eine Fähre, womit der erste Teil unserer Reise zu dem »ideal gelegenen Plätzchen an der Küste« begann.
    Es war ein schöner Märztag, einer von denen, die bei uns die Leute veranlassen, zu denken: »So ein schöner Frühling bringt sicher einen langen, heißen Sommer« und sich einen dementsprechenden Vorrat an Shorts, leichten Blüschen und Sonnenbrillen anzulegen. Später erweist sich der Sommer als regnerisch, unfreundlich und wetterwendisch, wie es nur der Februar sein dürfte. Doch jener Märztag war wirklich wundervoll klar, und während der Überfahrt ergingen Bob und ich uns auf Deck; wir bewunderten das tiefblaue Wasser des Puget Sound, den hellblauen Himmel, die dichtbewaldeten grünen Inseln, die hie und da vor unseren Blicken auftauchten, und

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