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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Heinrich, was hast du angestellt?«
    Anna Luises dunkle Kinderaugen.
    Und kein vernünftiges Wort, kein vernünftiger Gedanke in seinem Schädel. Doch die Alkoholnebel existierten nicht mehr. Verflogen waren sie, als sei ein Vorhang zerrissen.
    »Es ist was Schlimmes, nicht wahr?«
    »Aber nein.«
    Von unten schallte durchs Treppenhaus die Stimme des Münzmarschalls: »Ist da jemand? Otto Heinrich, bist du das?«
    Er beugte sich über das Geländer: »Da … Bin gerade zurückgekommen.«
    »Ach nein? Wirklich? – Hättest du dann vielleicht die Güte, dich zu mir zu bemühen?«
    Es klang wie purer Hohn, nein, wie nackter Zorn.
    Gotthelf Kummer erwartete den Sohn nicht an der Türe; schmal und steil aufgerichtet, im engen, braunen Schlafrock, das Kinn emporgereckt, die Augen im bleichen Gesicht dunkel und brennend, stand er hinter seinem Schreibtisch.
    Sacht, ganz vorsichtig schloß Otto Heinrich die Türe, blieb nichts als ein Schatten, der den Lichtkreis der Öllampe um den Schreibtisch scheute.
    »Komm näher.«
    Leise war jetzt die Stimme des Münzmarschalls. »Steh nicht herum wie der Idiot, der du bist.«
    Leise Worte, schmerzhaft wie Peitschenhiebe.
    »Es gibt viel, was ich bei einem jungen Menschen zu ertragen bereit bin, Otto Heinrich. Doch auch meiner Geduld sind Grenzen gesetzt. Versuchte ich die eigenen Gefühle außer acht zu lassen, so würde es noch schlimmer. Dann müßte ich sagen: Du verdienst es nicht, in diesem Haus zu wohnen, du verdienst nicht, die Luft dieser Stadt und dieses Staates zu atmen und schon gar nicht deine Ausbildung und die Bemühungen deiner Lehrer, dich als Apotheker zu einem geachteten Mitglied unserer Gesellschaft zu machen. Dies soll zuvor einmal klargestellt sein. Hast du das verstanden?«
    »Nein, Herr Vater«, hörte er sich sagen.
    »Nein? Was soll das heißen?«
    An den Schläfen des Münzmarschalls schwollen die Adern. Das quadratische Gesicht färbte ein verräterisches Rot, die Hand zuckte über den Schreibtisch, nahm ein Papier und riß es anklagend hoch: »Willst du mich auch noch belügen? Hier! Ein Protokoll. Und die Polizei hat es mir selbst ins Haus gebracht. Rat Wallerscheid hat sich dieser Mühe unterzogen. Und das nur, weil er ein Freund ist, ein wahrer Freund … Aber diese Sache ist so himmelschreiend, daß auf ihn nicht länger zu zählen ist. Ich tu's auch nicht. Denn dies ist ein Dokument der Schande, ich sagte ja, dies ist für mich eine Blamage, die zum Himmel stinkt.«
    Otto Heinrich fühlte, wie sich sein Rücken verkrampfte. Sein Herz, wie es klopfte! Und auch der Kopf begann wieder zu schmerzen. Er versuchte nachzudenken. Er vermochte es nicht zu glauben. So wenig Zeit war vergangen. Wie sollte sein Vater jetzt schon einen Bericht von dem Burschenschafter-Comment im Fährhaus bekommen haben? Oder hatten die Polizei-Spitzel Fehlin und ihn bereits auf ihrem Weg verfolgt? Waren sie tatsächlich überall?
    Sein Hals war trocken. Er brachte keinen Ton heraus. Und sein Vater sah ihn noch immer mit denselben dunklen, drohenden Augen an. Doch dann kamen die Zeilen in grellem Spott herausgeschleudert.
    »Sei nicht mehr die weiche Flöte,
das idyllische Gemüt,
sei des Vaterlands Posaune,
sei Kanone, sei Kartaune,
blase, schmettere, donnere, töte!«
    Gotthelf Kummer warf das Blatt verächtlich auf den Tisch.
    Schweigen.
    Dann sprach der Münzmarschall, leise, ungläubig, als könne er der eigenen Stimme nicht vertrauen: »Mein Sohn! Und was predigt er? Mord und Totschlag.« Plötzlich fing er an zu brüllen: »Das ist Aufstand! Jawohl, was ist das anderes als Aufstand? Revolution! – Und wer predigt das?«
    »Ich habe nicht gepredigt, Herr Vater.«
    »Ach nein?! Und was steht hier?« Die Faust des Münzmarschalls donnerte auf das Polizei-Protokoll. »Willst du vielleicht …«
    »Ich will gar nichts. Ich will nichts, als die Wahrheit feststellen. Ich habe ein Gedicht deklamiert. Und dieses Gedicht stammt aus der Feder eines Mannes, den ich, und ich scheue mich nicht, dies Ihnen zu sagen, aus tiefstem Herzen verehre.«
    »Nun hör …«
    »Nein, Herr Vater. Ich bitte, daß Sie mich hören. Dieser Mann kann als einer der kühnsten und größten deutschen Geister gelten. Und wo muß er leben? In Paris. Und warum? Weil ihn Reaktion und Presse-Zensur aus dem Land gejagt haben. Ihn, einen Mann, dem nichts höher ist als die Freiheit.«
    »Freiheit? Reaktion. Presse-Zensur. Schon die Wortwahl sagt alles.«
    Wieder holte Otto Heinrich Kummer tief Luft. »Bei allem

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