Das einsame Herz
Hand durch die Luft und lachte dem sinnenden Bendler ins Gesicht.
»Wir sind zwei dumme, lächerliche Träumer, Bendler! Statt den Abend zu genießen, machen wir uns unnütze Gedanken über die Verbesserung einer an sich wertlosen Welt. Komm, Freund – laß uns an der Hecke lieber dem Spiel der entzückenden Marie lauschen.« Er hob leicht die Hand, zeigte zum Nebenhaus und legte den Kopf lauschend zur Seite. »Hörst du – ein Rondo von Haydn. Kunst, lieber Freund, ist doch der einzige Trost in dieser jammervollen Welt.«
»Und gerade die Künstler sterben massenweise an Hunger …«, vollendete Bendler finster den Satz.
Dann traten sie aus der Laube, gingen zur abgrenzenden Hecke und hörten still dem Spiel des Spinetts zu, bis die Kühle der Nacht sie zwang, ins Haus zurückzugehen.
Traumlos schlief Otto Heinrich Kummer diese zweite Nacht in seiner neuen Heimat.
Ein leichter Regen, der in dieser Nacht fiel, trommelte leise an das Fenster der Luke, rauschte in der Rinne und schuf in dem kleinen Raum unter dem Dach die behagliche Wärme des Geborgenseins.
Die Wochen gingen mit angestrengter Arbeit in Apotheke und Laboratorium dahin.
Herr Knackfuß zeigte sich Kummer gegenüber von einer zwar strengen, aber keineswegs unangenehmen oder ungerechten Seite, wie er sie manchmal bei den anderen Gesellen, vor allem bei Bendler, aufsteckte, sondern behandelte den Jüngling mit einer sonst fremden Höflichkeit. Und doch schien es Kummer, als sei diese ganze Behandlung nur ein Abtasten, ein Abwarten, eine Stille vor einem gewaltigen Sturm, ein Spionieren nach der schwachen Stelle, wo Knackfuß ihn tödlich treffen konnte.
Da er dieses Gefühl nie los wurde, lag er beim Eintritt des Chefs und bei den gemeinsamen Mahlzeiten ständig wie ein Raubtier auf der Lauer und vermied alles, was ihm eine Blöße geben konnte. Das Gefühl, in einer neuen Heimat zu sein, wich deshalb auch sehr bald dem zähen Gedanken eines unterirdischen Kampfes, eines Postenstehens, das ermüdet und hart im Herzen macht.
Mit Jungfer Trudel hatte er in den vergangenen Wochen nicht wieder gesprochen, sie höchstens lässig gegrüßt, wenn er ihr auf der Treppe oder im Laden begegnete. Auf die an einem Abend plötzlich hervorgeschossene Frage Knackfußens, was ihm an seiner Tochter mißfiele (denn der Stolz des Vaterherzens hatte durch die lang ersehnte hochmütige Behandlung seiner Tochter unmerklich einen starken Stoß erhalten), entgegnete ihm Otto Heinrich klug, daß sein Herz an ein Mädchen in Dresden bereits gebunden und es nicht Sitte sei, dann noch andere Jungfern mit schönen Blicken zu bedenken.
Wenn Knackfuß diese Antwort auch nur halb gelten ließ und instinktiv fühlte, daß es ein Ausweichen war, hob sie doch den jungen Provisor sehr in seiner Achtung, und er schrieb an den Herrn Münzmarschall nach Dresden einen Brief, daß er mit dem Herrn Sohn sehr zufrieden sei und sein Können nicht überschätzt wurde.
Willi Bendler war in den Wochen ziemlich still geworden, wenn er außerhalb der Ladentheke und des Gesichts der anderen Kollegen war. Mit Kummer hatte er in letzter Zeit manche besinnliche Stunde, die immer um den Gedanken kreiste, auszubrechen und als Gegner der gesellschaftlichen Ordnung ein Märtyrer der Idee zu werden!
Wenn dann am Abend die wilden Herbstwinde um das Dach stöhnten und die Schindeln klapperten, saß er oft auf dem Rand seines Bettes, angetan mit seinem überdimensionalen Nachthemd, und philosophierte von der Freiheit der Menschen und kam zu keinem Entschluß, weil – wie er sagte – sein Vater nur ein kleiner Dorfschullehrer und kein Minister war.
Sonst ging das Leben ziemlich still seinen altgewohnten, gut eingespielten Verlauf. Die Tage wurden kürzer, die Nächte länger und die Herzen schwerer, wenn die dunklen Wolken von den Bergen herniederstiegen.
An einem Sonntag war es, als Otto Heinrich Kummer sich einen Tagesurlaub erbat und eine kleine Reise nach Augustusburg unternahm, einem alten, herrlichen, weiten Schloß auf den Höhen des Erzgebirges, dem Sitz des Freiherrn Ritter von Günther, einem Kämmerer des Königs und Freund des Staatsministers.
In dem kleinen Ort Augustusburg, das am Fuße des Burgberges lag, wohnte eine Tante Otto Heinrichs, und um diese zu besuchen, klapperte er mit einem Bauernfuhrwerk durch die Schluchten und Hohlwege und scheute nicht die beschwerliche Fahrt durch das Gebirge.
Nachdem er seinen schicklichen Besuch gemacht und alle Grüße ausgerichtet hatte,
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