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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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spazierte er den Burgberg hinauf, umging das mächtige Schloß und bewunderte die schönen Bildhauereien der Toreinfahrt, sprach mit der kostbar uniformierten Wache einige freundliche Worte und ließ sich von dem Leben des üppig hausenden Freiherrn von Günther berichten, dann ging er in den nahen Park, setzte sich auf eine Steinbank nahe des Steilhanges und blickte hinab auf den kleinen Ort und das Flüßchen Zschopau, das den Flecken durchfloß.
    Ganz sich der Ruhe hingebend, lehnte er an den kühlen Stein der Bank, als er bei einem Seitenblick über den weiten Platz hinter der Burg in einer Steingrotte einen Mann sitzen sah, der in einem auf seinen Knien liegenden Buch las. Ein Zierdegen mit vergoldetem Korb hing an seiner Seite, und das gepflegte Haupthaar sowie die von einem ersten Schneider gefertigte Kleidung ließ einen wohlhabenden Mann erkennen. Die langen, etwas knochigen Hände blätterten die Seiten des Buches wie in Gedanken um, während die Augen unter den buschigen Brauen in dem asketischen Gesicht beim Lesen fast geschlossen waren.
    Die merkwürdige Erscheinung des Fremden zog den Jüngling ungemein an.
    Er konnte nicht sagen, was ihn an diesem Manne interessierte, denn sein Äußeres war weder schön noch häßlich, sondern von jener Allgemeinheit, die nirgends auffällt. Und doch strömte die Ruhe und das ganze Bild dieses lesenden Mannes in der Grotte eine solche Macht auf Otto Heinrich Kummer aus, daß er sich unwillkürlich erhob und dem Manne näher trat.
    Um ihn nicht zu brüskieren, ging er erst ein paarmal um die Grotte herum, betrachtete dann ein Steingebilde am Eingang und trat schließlich näher, als wolle er das Innere besichtigen.
    Als sein Schatten auf das Buch fiel, blickte der Leser auf, und ein forschender, heller Blick traf den vermessenen Jüngling.
    »Pardon«, murmelte Kummer und zog seinen Hut. »Ich wollte Sie nicht stören.«
    »Was mich allein stört, ist, daß Sie sich als Deutscher auf französisch entschuldigen«, antwortete ihm der Fremde mit einer dunkel klingenden, weichen Stimme.
    Er klappte das Buch zusammen, legte es zur Seite und musterte von unten herauf den verlegenen Apotheker.
    Ein Lächeln flog einen Augenblick über seine harten Züge.
    »Belustigen Sie sich auch an dem Völkertreiben des Herrn von Günther?« fragte er nach einer kleinen Weile des Schweigens. »Die Bauern im Tale hungern – aber dem Herrn Ritter von Günther müssen sie die Hühner bringen!«
    »Es ist vielleicht sein Recht«, wagte Kummer zaghaft einzuwenden, obgleich er keinerlei Lust empfand, den unbekannten Edelmann zu verteidigen. Nur etwas sagen wollte er, um die Pause der Verlegenheit zu überwinden.
    Der Fremde neigte ein wenig den Kopf auf die Seite und schlug mit der Faust der rechten Hand in die flache Linke.
    »Recht! Fragt heute jemand noch, was Recht ist? Tut es der kleine Mann, so ist es Revolte, tut es der große Mann, so ist es Gesetz – tut es aber der Aristokrat, so ist es eine Regierungsbildung! Es ist das Recht der Bauern, zu verhungern, weil es das Recht des Herrn von Günther ist, sie auszusaugen. Das ist eine praktische Kausalität, eine Logik, an der die alten griechischen Philosophen scheiterten. Eine solche Auslegung des Rechts konnte weder der Humanismus noch der Absolutismus, noch die Französische Revolution verbessern … Und da sprechen Sie vom Recht, junger Mann!«
    Die Art zu sprechen zog Kummer ungewollt an. Er setzte sich neben den Fremden auf die Steine der Grotte und stützte sich auf seinen Stock.
    »Verzeihen Sie, wenn ich eine Frage an Sie richte«, sagte er mit Betonung.
    »Bitte.«
    »Was halten Sie vom Recht des Individuums?«
    »Nichts! Denn es muß erst geboren werden.«
    »Und wenn es geboren ist?«
    »Dann wird es nicht wirksam sein, weil die Masse nie stärker wird als der Kopf des Staates. Man redet heute viel von einer Demokratie. Volksrecht nennt man es, Volksvertretung, Volksherrschaft, die höchste Staatsgewalt geht vom Volke aus! Lassen Sie mich lachen, junger Freund – oder glauben Sie wirklich, daß im Jahre 1834 eine Demokratie möglich ist? Bei dem Königtum!«
    Er schüttelte den Kopf und steckte das neben ihm liegende Buch in die Rocktasche.
    Kummer sann einen Augenblick vor sich hin, ehe er eine Antwort gab. Dann sagte er langsam und bedächtig:
    »Ich glaube, daß diese Welt einmal untergeht, weil sie sich überzüchten wird!«
    »Und diese Überzüchtung beginnt bei der Vormachtstellung des Intellektualismus!« rief der

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