Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
ein verzogener Laffe, ein Rotzkerl!«
    In Otto Heinrich rang die Wut mit der Vernunft. Er trat dicht vor den Apotheker heran, so dicht, daß des Alten Atem über sein Gesicht zog, und sagte leise, aber scharf, daß es Knackfuß wie eine Schneide durch das Herz ging: »Ich könnte Sie zu Boden schlagen! Nur weil Sie im Alter meines Vaters sind, geschieht es nicht –!«
    Der Apotheker rang nach Luft. »Mir dies …«, röchelte er. »Mir dies … mir … mir … oh …« Er wankte, perlender Schweiß trat ihm plötzlich auf die Stirn, die gelben Augäpfel verdrehten sich schrecklich, zuckend griffen die Hände ins Leere, der Mund stammelte wirr und unverständlich – dann schwankte der ganze Körper, zitterte in den Gliedern, so wie ein Baum mit allen Ästen bebt, ehe er gefällt zu Boden rauscht, die Beine knickten, ein röchelnder Schrei entrang sich den fahlen, bläulich schimmernden Lippen. »Trudel … Tru …« Dann sank der Körper um und fiel in die Arme des erschreckten, sprachlos starrenden Otto Heinrich.
    Mit aller Kraft schleifte er den schweren Körper auf das Sofa, bettete den Kopf des Bewußtlosen auf die Kissen, lockerte ihm die Halsbinde und lief dann auf den Flur.
    »Trudel!« schrie er. »Trudel!« Und als das Mädchen erstaunt aus ihrem Schlafzimmer trat, mit aufgelösten Haaren, die sie gerade kämmte und die das schmale Gesicht nun wie eine Flut goldener Fäden umgaben, schrie er: »Der Vater … schnell, der Vater!«
    Mit einem Schrei eilte das Mädchen an ihm vorbei in das Zimmer. Ihr Kleid, das sich in der Klinke verfing, schloß die Tür.
    Unschlüssig stand Kummer vor dem Zimmer, aus dem jetzt das laute Weinen Trudels drang und das Klappern von Schüsseln aus der danebenliegenden Küche.
    Er wußte nicht, ob er wieder eintreten und helfen oder sich still entfernen sollte. Schließlich, nach längerem Warten, entschloß er sich zu gehen und stieg nachdenklich zu seiner Kammer empor, nahm Mantel und Hut vom Haken und ging dann hinunter in den tiefverschneiten Garten, über dem in dichten Wolken der Schnee vom Himmel tanzte.
    Unruhig wanderte er die nur schwach kenntlichen Wege auf und nieder, bis das Gewicht des Schnees auf seinem Hut und seinen Mantelschultern ihn in die Laube trieb. Dort klopfte er die Flocken ab und sah gedankenlos zu, wie die Kristalle durch die Wärme seiner Hände vergingen, kleiner und kleiner wurden, um als winziger grauschmutziger Wasserfleck zu enden.
    Dann lehnte er sich an den in die Erde gerammten Tisch und blickte durch das schmale Hinterfenster in das weiße Geriesel und in die graue Wolkenwand und fühlte sich eins mit der tötenden Schönheit der winterlichen Natur.
    Wie lange er so gestanden hatte, wußte er nicht. Er schreckte erst auf, als eine Hand mit leichtem Druck seine Schulter berührte.
    Otto Heinrich blickte sich nicht um. Er wußte, daß es Trudels Hand war, doch er scheute sich, in ihre Augen zu blicken, die von den Tränen gerötet und gedunsen sein mußten. Er hatte sein Versprechen nicht gehalten und kam sich schlecht und elend vor.
    »Trudel?« sagte er nur mit leiser Stimme und wunderte sich nicht, daß auf seine Frage keine Antwort kam. Erst nach langem Schweigen sagte sie »Ja« und trat an seine Seite.
    »Warum hast du das getan?« fragte sie. Aber die Frage war nicht vorwurfsvoll, traurig, ärgerlich oder hart, sondern weich und streichelnd, als habe sie von einer sehnsuchtsweiten Liebe gesprochen, die nun zu ihr trat und Wirklichkeit des Herzens wurde. Und gerade diese Weichheit des Vorwurfs, dieses liebende Dulden war es, was in Otto Heinrich eine Flamme aufriß, was ihn packte und schüttelte und seine Schuld so furchtbar schwer werden ließ.
    Er krampfte die Finger zur Faust und starrte weiter stumm in das Rieseln des Schnees.
    »Du hattest mir versprochen, des Vaters Zorn zu schonen«, fuhr Trudel leise fort. »Du weißt, er ist im Herzen gut – und trotzdem triffst du ihn so hart. Otto Heinrich« – das Mädchen stockte und legte zögernd die Hand wieder auf die Schulter Kummers –, »weil du mich liebst, solltest du schweigen.«
    »Es ging nicht!« Der Jüngling fuhr herum und preßte die Fäuste an seine Brust. »Wenn du wüßtest, wie er mich quält, tagaus, tagein, stündlich, schon wenn er mich sieht – in der Apotheke, bei Tisch, im Kontor, überall – immer diese spitzen Reden, unberechtigte Schelte, Mißtrauen, Härte, Spott – alle Register menschlicher Quälsucht wendet er an, um mich zu treffen, mich zu

Weitere Kostenlose Bücher