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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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getrieben, rannte Otto Heinrich die Treppe hinunter, lief durch den Privatkorridor und zögerte erst, als er vor dem Kontor des Prinzipals stand.
    Mit einem Ruck zog er seine Jacke zurecht, klopfte dann an und trat mit festem Schritt in das Zimmer.
    Am Stehpult stand Knackfuß und rechnete im Hauptbuch.
    Als er Otto Heinrich eintreten sah, klappte er es mit einem lauten Knall zu und schoß hinter dem Pult hervor. Seine Augen waren starr, und der faltige, schmale Mund zuckte wie in Krämpfen.
    »Er … Er …!« Seine Stimme überschlug sich und wurde schrill. »Er wagt es noch, mir unter die Augen zu treten?!«
    Otto Heinrich Kummer brauchte eine Zeit, um sein Staunen und seinen Schreck zu überwinden, ehe er eine Antwort fand.
    »Ich weiß nicht …«, stotterte er unsicher, denn die fremde Anrede in der dritten Person, die nur bei Lehrlingen und einfachen Gesellen üblich war, verwirrte ihn noch immer. »Ich weiß nicht, was …«
    »Er weiß nicht?!« Der alte Knackfuß schrie, daß seine Stimme in dem engen Raum gellte. »Er Lump! Er Schuft! Schleicht sich mit süßen Reden in mein Herz, ich mache Ihn zum Provisor, schenke Ihm Vertrauen, und Er … Er schändet meine Tochter. Er lockt sie nachts in Lauben, wie ein Verbrecher, der die Nacht braucht, um zu leben. Er säuselt ihr sein Unglück vor, verführt mit schönen Reden das ahnungslose, reine Herz, bringt Schande in die gottgeweihte Seele und steht dann da, ein Haufen Dreck, ein Mörder kindlicher Unschuld, und fragt: ich weiß nicht, was … Hinaus! Hinaus, Er Satan!!«
    Knackfuß hielt sich an dem Rand des Stehpultes fest und atmete röchelnd.
    Die Haut seines Gesichts war fahlgelb. Das Weiße der Augäpfel überzog sich mit rotem Geäder.
    Otto Heinrich, der stumm die Schmähungen ertragen hatte, sah mit einem Schimmer Mitleid auf die gebrochene Gestalt des alten Mannes. In seinem Innern aber jagten die Gedanken. In den Halsschlagadern fühlte er hart den rasenden Puls klopfen.
    Wo ist Trudel? schrie es in ihm. Was ist hier geschehen?! Der Alte bringt es fertig und erwürgt in seiner Wut die eigene Tochter!
    »Was ist mit Trudel?« keuchte Otto Heinrich und duckte sich, als wolle er jeden Augenblick auf Knackfuß springen.
    »Sie ist fort!«
    »Wo fort? Wohin?!«
    »Fort!«
    »Wohin!!!« Der Jüngling schrie es und packte den Alten an den Rockaufschlägen.
    Mit tödlichem Haß sahen sich die beiden in die Augen.
    »Zu meinem Bruder. Nach Chemnitz. Dort bleibt sie, bis ich ihr den Mann ausgesucht habe, den sie heiraten muß – und wird!«
    »Teufel! Infamer Teufel!« Stöhnend schüttelte Kummer den Apotheker wie eine Puppe hin und her. »Gib mir Trudel wieder … Du … Du … gib sie mir wieder …«
    »Nie …« Die Augen Knackfuß' sprühten Triumph und Haß. »Nie! Ich würde euch verfluchen, wie nie ein Vater fluchte!«
    »Wir brauchen deinen Segen nicht! Die Welt ist groß und weit!« Und plötzlich schleuderte er den Alten an das Stehpult zurück, daß es krachte und zu schwanken begann. »Ich werde sie mir holen, und wenn die Hölle dazwischen läge!«
    Knackfuß, der sich an das Pult geklammert hatte, um nicht hinzustürzen, richtete sich auf und zog die verrutschte Halsbinde gerade. Mit pfeifendem Atem trat er aus der Reichweite seines Provisors und ging hinter das hohe Stehpult.
    »Wenn Sie den Tod wollen, tun Sie es«, sagte er verwunderlich kalt und nüchtern. »Ich habe nie einen Menschen so gehaßt wie Sie! Noch in der Brautnacht würde ich Sie und Trudel mit Gewalt vergiften!«
    »Sie sind ein Satan!«
    »Die Unschuld meiner Tochter ist mein Heiligtum!«
    »Ich habe nie gewagt, sie ihr zu nehmen!« schrie Otto Heinrich. »Ich liebe Trudel!«
    »Und Trudel liebt Sie auch! – Sie haben sie geküßt!«
    »Ja.«
    »Schuft! Wer meine Tochter küßt, beleidigt mich! Nur weil ich ein alter Mann bin, fordere ich nicht Rechenschaft mit der Pistole. Aber der Mann, der einmal Trudel in sein Haus nimmt, wird Sie wie einen tollen Hund zu Boden knallen … ich werde dafür sorgen, daß die Flamme brennt!«
    Wie gelähmt stand Otto Heinrich vor diesem Haß. Er fand keine Antwort als ein schwaches resignierendes Achselzucken und wandte sich ab.
    Erst in der geöffneten Tür blickte er sich noch einmal um und sagte langsam:
    »Wenn es einen Gott gibt, wird er Sie einmal für diese Stunde strafen!«
    Dann schloß er die Tür, lehnte sich an ihren Rahmen und bedeckte die Augen mit seinen Händen. So stand er eine Zeitlang, bis er langsam die Treppe empor in

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