Das einsame Herz
Beispiel, sei ein Mensch, der würdig ist, zu leben.
Und … Liebster … liebe eine andere Frau und suche Trost in ihren Armen vor des Lebens Sturm … Vergiß mich. Nenne mich nur einen Traum, eine Vision, vielleicht auch einen Gedanken.
Wie will ich glücklich sein, wenn ich einst lobend von Dir höre … wie will ich mich erfreuen, wenn Dein Leben freudvoll wird – ich habe zu den Sternen, die der Himmel mir verdeckte, Wunsch und Gruß für Dich gesandt und will, wenn sie am Himmel glitzern, in sie sehen und Deine Augen treffen, wenn auch Du zu ihnen schaust.
Weine nicht – ich habe Dich wie nie einen Menschen geliebt. Sieh, nun sind unsere Herzen gleich, wehmütig in der Sehnsucht, traurig in Erinnerungen, frierend im Atem der Welt.
Leb wohl! Ich küsse Dich – die Haare, die Augen, den Mund und Deine zarten, schmalen Hände, die mich so oft streichelten.
Leb wohl. Auf immer Lebewohl … auf ewig … Trudel.«
Langsam sank der Kopf Otto Heinrichs hinab, bis er mit dem Gesicht auf der Platte des Tisches lag. Schlaff hingen die Arme herab, der Brief war auf die Erde geflattert, den Körper schüttelte ein Schluchzen.
»O warum hast du das getan?« flüsterte er. »Trudel … das ist die Einsamkeit, die grenzenlose Einsamkeit … der Tod …«
Die Haare fielen ihm an den Seiten über das Gesicht. Die Hände zuckten.
»Mein Urteil …«, stammelte er. »Mein Todesurteil, von ihr, die alles, alles für mich war …«
Und dann weinte er, haltlos, laut, daß seine Seele überfloß und im Schmerz ertrank. Weinte, bis sein Körper zusammenfiel und die Erschöpfung ihn im Schlaf erlöste.
Über den Tisch hingesunken lag Otto Heinrich bis zum Morgengrauen.
Als er starr vor Frost erwachte, war sein Herz vom größten Schmerz befreit. Doch es war kalt geworden, Eis wie die wundersamen Blumen an den zugefrorenen Fenstern, gefühllos, tot … einsam wie das kalte All.
Bevor er hinunter in das Laboratorium ging, nahm er den Brief Trudels nochmals zur Hand und schrieb unter den Namen der Liebsten ein kleines, resignierendes Gedicht.
Hämisch und voll Spott hob es sich von den Worten des Abschiedes ab.
Frech und ungerecht.
Kalt und einsam.
Ich kenne einen armen Wicht,
der bildete sich ein,
ein Mädchenherz betröge nicht
und müßte redlich sein.
Er ist enttäuscht und wünschet nun
im stillen kühlen Grab zu ruhn,
wo alle Qualen enden.
Er schleuderte den Brief auf den Tisch und wandte sich brüsk ab.
Dann stieg er die Treppe hinunter in das Laboratorium.
Ein neuer Mensch, dessen Sehnsucht es war, zu sterben.
Ein Mensch, dem der Tod zur Wonne würde.
Ein Mensch, dessen Leben schon gestorben war und der nur atmete, weil die Natur es wollte.
Ein Mensch, der Gott deshalb anklagte, weil er schwieg.
Ein einsames Herz …
3
Es ist Sonntag, der 1. Februar 1835.
Durch Frankenberg rasselt mit schnaubenden Pferden eine Extrapost, wirbelt den Schnee in den engen Gassen auf und läßt die Bürger in die Haustüren flüchten.
In der Kutsche klammern sich an den Lederbügeln vier Herren in grauen Reiseanzügen und dunkelgrauen Zylindern auf den Plätzen fest und blicken ab und zu hinaus in den aufstäubenden Schnee.
Kalt steht die Morgensonne schräg über den Bergen.
Der Schnee leuchtet.
Die Pferde legen sich ins Geschirr, es kracht in den Deichseln, und der Kutscher auf dem Bock hat den Schal über den Mund gezogen, damit die Kälte ihm nicht die Lippen aufreißt.
Vor der Apotheke in Frankenberg hält mit einem Ruck die Kutsche, und die graugekleideten Herren springen aus dem hölzernen Kasten.
Hinter den Scheiben der Läden und des Laboratoriums kleben die Gesichter der Neugierigen, am Brunnen auf dem Markt stauen sich die einkaufenden Frauen – Herr Knackfuß selbst eilt aus seinem Kontor in den Laden und kommt gerade zurecht, als die vier Herren durch die klingelnde Tür eintreten.
»Eine königliche Post aus Dresden«, flüstern die Frauen draußen am Brunnen. »Eine Extrapost für Knackfuß! – Der Alte hat ein Glück!«
Aber es war nicht das Glück, das mit dieser Post aus Dresden kam, sondern im Privatkontor, in das Herr Knackfuß die Herren bat, zeigten die vier Reisenden ihre königlichen Ausweise.
Der Apotheker erstarrte.
Erbleichend hielt er sich am Stehpult fest und brauchte eine längere Zeit, sich zu fassen.
»Die Herren sind vom Geheimdienst Seiner Majestät?« stotterte er und blickte von einer grauen Gestalt zur anderen. »In meinem Hause? Ich … wüßte nicht, was Sie hier an
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