Das einsame Herz
versorgte. Die völlige Unschuld Ihres Herrn Vaters ist damit geklärt.«
»Herr von Seditz …« Otto Heinrich stammelte. Er fühlte, wie sich gegen seinen Willen seine Augen mit Tränen füllten.
»Und noch eines ist geklärt: der unschuldige Verdacht! Baron von Kracht war ein alter Feind ihres Herrn Vaters. Es müssen da persönliche Dinge aus der Jugendzeit eine Rolle spielen. Der Baron verstand es durch seine hohe Hofstellung geschickt, den Verdacht auf Ihren Herrn Vater zu lenken.« Seditz lächelte wieder. »Heute denkt er auf dem Königstein über sein Urteil nach – während der Herr Münzmarschall vergangenen Sonntag von Seiner Majestät huldreich empfangen und wieder in alle Ämter eingesetzt wurde!«
Otto Heinrich bebte. Er drückte Seditz stürmisch die Hand und begleitete ihn hinaus.
Mit einem kurzen Gruß verabschiedeten sich die grauen Herren von dem verdutzten und enttäuschten Knackfuß. Mit Dienern geleitete er sie zur Tür.
Otto Heinrich ging mit Seditz bis zur Kutsche und reichte ihm noch einmal die Hand.
»Ich danke dir«, sagte er leise. »Die kleine Komödie hat dem Alten mächtig die Knochen geschüttelt, und selbst ich wußte manchmal nicht, was Spaß und Ernst ist. Nur eines bedrückt mich: Was wird man mit Bendler machen, wenn man ihn fängt?«
»Man wird ihn des Mordes anklagen! Die Preußen sind ihm schon auf der Spur!«
»Mein Gott – wenn man da helfen könnte!«
»Zu spät.« Seditz lachte. »Seit zwei Tagen ist er in Sachsen, ging bei Lützen über die Grenze! Seit gestern hat ihn mein Geheimdienst in Verwahr!«
»Und du wirst ihn ausliefern?«
»Ich werde ihn nach Bayern abschieben! Seine Art der Gerechtigkeit ist mir zu handwerklich! Brutalität hat selten eine Erlösung gebracht – unsere Zukunft liegt im Geist! Einen Bendler kann es öfter geben. – Blut fließt so leicht – aber das Genie, das uns ein neues Ideal gibt, das heißt es suchen!«
Otto Heinrich nickte.
»Ich bin so glücklich, daß der Vater gerettet ist! So glücklich, Seditz! Ich habe dir viel zu danken.«
»Du beschämst mich, Heinrich. Laß uns davon schweigen – Freunde sind immer füreinander da!« Er blickte sich um. Die drei Begleiter saßen bereits in dem hölzernen Verschlag, die Pferde waren unruhig und klirrten im Geschirr. »Es wird Zeit, Heinrich. Noch einmal deine Hand – so –, und nun leb wohl und beiße dich durch! Man hat dich in Dresden nicht vergessen.«
»Grüß mir alle, Seditz«, sagte Otto Heinrich mit stockender, belegter Stimme. »Vater, Mutter, die Geschwister – und Maltitz, Caspar Friedrich, Bruneck, Puttkammer, du weißt schon – alle! Und grüße mir Dresden, das Schloß, die Oper, die Frauenkirche und die Brühlsche Terrasse. Den Zwinger und den großen Garten. Und die Elbe, Seditz, die Elbe.«
Der Wagen ruckte an, knarrend und knirschend mahlten sich die Räder in den verharschten Schnee.
Noch einmal drückte er dem Freund durch das Fenster die Hand, lief ein Stück nebenher und blieb dann mitten auf dem Markt stehen und winkte.
Als der Wagen um die nächste Ecke bog, ging er gesenkten Hauptes zur Apotheke zurück. Die Blicke der tuschelnden Frauen am Brunnen folgten ihm.
Langsam öffnete er die Tür und trat ein.
Im Flur stand zornrot und bebend Knackfuß.
Und ohne ein Wort ging Kummer an ihm vorbei in das Laboratorium.
Die Antwort Otto Heinrichs, er verweigere die Aussage in Sachen seines Vaters, war ein Dorn in der Seele Knackfuß'. Nicht wissend, daß die Aufnahme des Protokolls nur eine Komödie des Herrn von Seditz war, der seiner Nachricht an Kummer einen für den Apotheker gewichtigen Rahmen geben wollte, trat er von diesem Tage an immer auf dieser Verweigerung herum und nannte seinen Provisor ehrlos, einen Schandbuben und einen Menschen, der Meineide schwört, wie man Butterbrote ißt.
Otto Heinrich dagegen antwortete mit der dringlichen Forderung, die Suche nach einem neuen Provisor zu beschleunigen, da es ihm unmöglich sei, neben einem zänkischen und tyrannischen Kracher – er sagte wirklich Kracher und brachte Knackfuß damit an den Rand eines Schlaganfalls – zu leben und erst recht zu arbeiten.
So zankten sich die beiden zum Gaudium der anderen Apothekergesellen durch die Tage, vergällten sich die Abende durch böse Worte und schlossen ihre Herzen gegen alles ab, was von außen her an sie herandrang.
Von Trudel hatte Otto Heinrich seit der gewaltsamen Trennung nichts mehr gehört. Wohl ging er ab und zu des Abends in die Laube und
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