Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Älteste salzig. Bitter sind alle.
Du wirst herumgedreht, und nun fallen sie über dich von hinten her. Dein Gesicht quillt aus der Nase, dem Zahnfleisch, den Brauen: Eine rote Pfütze breitet sich aus auf dem Boden, trockene Zweige eines ockerfarbenen Baums eingeprägt in die Steinplatten auf dem Weg zum Schrein. Von Zeit zu Zeit spürst du Hitzewellen zwischen deinen Beinen, deinen Brüsten, deinen Augen, und deine Lider verkleben und deine Sicht trübt sich immer mehr ein.
Und du denkst: Ich bin tot. Weil sie dich benutzen, Kazumi, wie man einen Kadaver zerteilt, bewacht und berührt: Wie man den erloschenen Körper eines Toten entkleidet und wieder anzieht. Als hängten sie deine Eingeweide auf Bügel in einem Schaufenster, wo sie von neugierigen, kindlichen Händen betastet werden, als betrachtetest du mit den Lebenden deine eigene Leichenschau auf den Bildschirmen des Periskopraums oder der Leinwand eines Kinos, in dem das Innere der Eingeweide deines toten Körpers gezeigt wird.
Aber du bist nicht tot. Es ist dir nicht gestattet, Kazumi.
Und du spürst einen Taumel an einem Punkt mitten in dir und lässt dich fallen wie ein Kind. Und da beginnt es dir zu gefallen, dass du dort bist.
29
Es ist viel Zeit vergangen, seit ich mich hier eingeschlossen habe.
Wieder etwas zu tun wäre, wie einen Ozean mit einer Pipette zu füllen. Und doch spüre ich seit einigen Wochen, dass etwas da ist, wie das Summen eines verstellten Fernsehapparats hinter einer halb offenen Tür.
Ich bin kein Hikikomori, keiner dieser auf Kosten seiner Eltern lebenden Tagediebe, die alle acht Stunden mit lautem Klopfen an der Zimmertür geweckt werden, wo dann ein Teller Essen am Boden steht. Ich bin tatsächlich allein und sehr tot. Die anderen sind auch bereits tot, gefangen in einer Zukunft auf Fotos tief unten in einer Schublade oder einem Verzeichnis einer kaputten Computerfestplatte.
Der Unterschied ist, dass ich es weiß.
Nachdem die Ausländerin verschwunden war und er für Kazumi diese Lösung gefunden hatte, gab mein Vater die Suche nach mir auf. Er verschloss sich in seiner Wohnung (ein Familienleiden) gemeinsam mit der Puppe Yoshiko. Ich vermute, der ehrenwerte Herr Okuda ist zumindest noch nicht gestorben, sonst hätten längst Zeitungen angeklopft, um mir einen Nachruf abzunötigen, den sie schon seit mindestens zwanzig Jahren hätten schreiben können.
An all das muss ich denken, nach so langer Zeit, weil das Telefon klingelt, nicht aufhört zu klingeln, immer wieder, und jedes Klingeln mich daran erinnert, dass es eine andere Zeit gibt jenseits der Grenzen dieser Wohnung.
„Shun?“
Iulana Romiszowskas Stimme klingt wie ein Gullydeckel, der sich in meinem Kopf öffnet. Bevor es mir gelingt zu formulieren, wie sehr ihr Überleben mich kränkt, beginnt Iulana zu erzählen, dass die Tänzerin Kazumi gestorben ist, nachdem sie monatelang an Apparate angeschlossen war, und die Polizei ihr keine Informationen hatte geben wollen und man sie praktisch mit Fußtritten von der Station gejagt hatte. Sie fragt, ob ich die Nachricht von dem Überfall nicht in der Zeitung gelesen hätte.
Ich sage, dass ich schon lange nichts mehr lese, und schweige.
„Ich rufe an, weil ich deine Hilfe brauche.“
„Wozu?“
„Als ich die Sachen Kazumis in unserer Wohnung durchgesehen habe, bin ich auf eine Reihe kurzer Mitteilungen gestoßen, alle auf demselben Papier. Sie bekam diese Zettel am Vorabend des Überfalls. Du weißt, von wem ich rede, nicht wahr?“
„…“
„Sie ist auch oft angerufen worden, von Herrn Okuda, mitten in der Nacht. Ich glaube, er hat sie bezahlt, um uns auszuspähen.“
„Weshalb hast du das noch nicht der Polizei übergeben?“
„Sie haben gesagt, dass sie mich abschieben lassen, wenn ich sie noch einmal belästige. Ich bin illegal. Und ich habe Angst, weil das Telefon schon wieder mitten in der Nacht geklingelt hat.“
„Und bist du rangegangen?“
„Ja, und dein Vater sagt immer nur eins.“
„Was denn?“
„, Wo ist deine Frage?‘ Ich bin eine Antwort in Erwartung einer Frage.“
„Der verdammte Alte.“
„Und dann legt er auf, weil ich nichts sagen kann. Ich will nur nicht, dass sie das auch mit mir machen, Shun.“
Wir verabreden uns in der ordinären Imitation eines Dunkin’ Donuts nahe der Shinjuku-Station. Es ist sonderbar, nach so langer Zeit wieder hinaus auf die Straße zu gehen. Ich bin ein Entdecker. Meine Beine und Augen schmerzen, ich verlaufe mich und komme immer wieder
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