Das einzige Kind
Familie«, sagte der Mann mürrisch, aber doch besänftigt durch das freundliche Auftreten der Hauptkommissarin.
»Ach, wissen Sie«, sagte Hanne bedauernd. »Polizeiarbeit kann ziemlich erbarmungslos sein. Und in einem Fall wie diesem müssen wir jeden Stein umdrehen. Das verstehen Sie doch sicher. Aber das ist alles nur Routine, und je schneller wir das hier hinter uns bringen, desto eher können Sie und Ihre Familie versuchen, nach diesem tragischen Ereignis Ihr Leben wieder aufzunehmen.«
Vestavik schien beruhigt zu sein. Hanne Wilhelmsen wechselte einige Worte mit Billy T. und verschwand.
Das Verhör dauerte noch zwei Stunden und verlief
einigermaßen höflich. Billy T. erfuhr, daß der Mann sich im Kinderheim recht gut auskannte. Er war natürlich einige Male dort gewesen. Sein eigenes Heim lag nur einen Katzensprung entfernt, und Agnes hatte zwölf Jahre in dem Heim gearbeitet.
Am Abend des Mordes hatte sie beim Essen gesagt, sie müsse noch einmal kurz ins Büro. Die großen Kinder waren nicht zu Hause gewesen, der Älteste studierte in einer anderen Stadt, der sechzehnjährige Joachim war auf Klassenreise. Agnes hatte Amanda ins Bett gebracht und war dann gegen halb zehn zum Heim gegangen. Sie hatte ihn gebeten, nicht auf sie zu warten, es könne spät werden. Er hatte ein wenig ferngesehen und war dann wie üblich gegen halb zwölf schlafen gegangen. Amanda schlief normalerweise durch, aber gerade in der Nacht hatte sie Alpträume gehabt und sich so gefürchtet, daß er sie ins elterliche Doppelbett geholt hatte. Sie waren beide gegen vier Uhr morgens davon geweckt worden, daß ein Pastor vor der Tür stand. Telefongespräche hatte er an dem Abend nicht geführt.
Welche Fernsehsendung er gesehen hatte, wußte er nicht sofort, 84
aber nachdem Billy T. ihm das Programm des fraglichen Abends gezeigt hatte, konnte er den Film auf TV 3 kurz und glaubhaft zusammenfassen.
»Sonst noch etwas?« fragte Billy T. schließlich.
»Wie meinen Sie das?«
»Gibt es sonst noch etwas, das für den Fall von Bedeutung sein kann?« fragte Billy T. ungeduldig.
»Ja. Eins vielleicht noch.«
Vestavik zog seine Brieftasche hervor und suchte nach einem Zettel, der sich dort offenbar nicht befand. Dann schob er die Brieftasche wieder in sein Jackett und seufzte. Er schien nicht recht zu wissen, ob er tatsächlich erzählen sollte, woran er dachte.
»Es ist Geld abgehoben worden«, sagte er zögernd.
»Geld?«
»Vom Konto. Ich habe es auf den Kontoauszügen gesehen. Ich weiß nicht, wo und von wem. Aber an ein und demselben Tag sind drei Schecks zu je zehntausend eingelöst worden.«
»Dreißigtausend Kronen also?«
»Ja.« Er zupfte sich am Ohrläppchen und starrte zu Boden.
»Von Agnes’ Konto. Verstehen Sie, wir hatten ein gemeinsames Konto, und dann hatte sie noch ihr eigenes. Aber ich habe natürlich ihre Kontoauszüge durchgesehen, die sind gestern gekommen.«
Dem Witwer schien es peinlich zu sein, daß er sich an der Post seiner Frau zu schaffen gemacht hatte. Billy T. versicherte ihm, das sei nur richtig gewesen.
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wozu Ihre Frau das Geld gebraucht haben kann?«
Vestavik schüttelte den Kopf und seufzte tief.
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»Aber danach hat sie das Konto offenbar sperren lassen. Das weiß ich allerdings noch nicht mit Sicherheit. Vielleicht war ihr das Scheckbuch gestohlen worden?«
»Ja, vielleicht«, sagte Billy T. nachdenklich. »Dürfte ich ordnungshalber um Ihre Zustimmung dafür bitten, daß wir die Bankkonten Ihrer Frau überprüfen?«
»Natürlich.«
Nachdem das Protokoll ausgefertigt und von Vestavik ordnungsgemäß unterschrieben worden war, führte Billy T. ihn aus dem grauen Betongebäude hinaus. Er drückte dem Witwer rasch die Hand, dann rannte er die drei Treppen hoch und platzte, wie immer ohne anzuklopfen, in Hanne Wilhelmsens Büro.
»Verdammt, Hanne«, sagte er ärgerlich. »Du kannst doch nicht mitten in einem Verhör reinplatzen. Wir hätten mitten in einem Geständnis gewesen sein können!«
»Aber das wart ihr nicht«, antwortete sie gelassen. »Ich habe an der Tür gehorcht. Tatsache ist, daß ihr gerade ziemlich aneinander geraten wart. Deshalb mußte ich eingreifen, verstehst du, und dein Temperament ein bißchen zügeln. Hat es geholfen?«
»Tja. Doch. Im Grunde schon.«
»Na siehst du. Kann er gestrichen werden?«
»Nein, noch nicht. Er hört sich ja ziemlich überzeugend an.
Und so leicht bringt einer seine Alte nicht um, da hat er schon
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