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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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recht. Sie haben eine Tochter von knapp vier Jahren. Und zwei große Söhne. Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber streichen können wir ihn deshalb noch nicht.«
    »Es kommt gar nicht so selten vor, daß jemand seine Ehefrau umbringt«, sagte Hanne und starrte vor sich hin. »Ganz im Gegenteil. Bei vielen Morden liegt eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer vor.«
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    »Aber in diesem Fall müßte es sich um vorsätzlichen Mord handeln, Hanne. Und dazu müßte der Typ ganz schön kaltblütig sein. So kam er mir aber nicht vor, auch wenn ihre Beziehung offenbar ziemlich abgekühlt war. Und es sieht so aus, als wären der Frau zuerst ihr Scheckbuch und dann dreißigtausend Kronen geklaut worden, ohne daß sie ihrem Mann auch nur einen Mucks gesagt hat.«
    »Was sagst du da?«
    »Du hast richtig gehört. Er hat gestern den Brief mit den Kontoauszügen geöffnet, und an ein und demselben Tag waren drei Schecks zu insgesamt dreißigtausend eingelöst worden. Das war dann auch die letzte Auszahlung.«
    Sie blickten einander lange an.
    »Hat er das selbst gemacht und eingesehen, daß wir irgendwann darüber stolpern würden? Hat er es uns deshalb lieber gleich erzählt?«
    »Glaube ich nicht. Er schien das selbst nicht zu kapieren. Und er wirkte ziemlich verlegen.«
    Hanne erhob sich, drückte eine Zigarette aus und versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken.
    »Werden sehen. Sieh dir mal an, was die anderen
    herausgefunden haben, ja? Und bitte Tone-Marit, sich um die Schecks zu kümmern. Und morgen früh erstattest du mir Bericht. Ich geh jetzt.«

    Odd Vestavik fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er lockerte seinen Schlips und öffnete den Sicherheitsgurt, in der Hoffnung, dann bequemer zu sitzen. Aber das half alles nichts.
    Die Sache mit der Gütertrennung hatte ihn restlos aus dem Konzept gebracht. Er hätte alles erzählen müssen. Andererseits, er hätte sich doch sein eigenes Grab geschaufelt, wenn er erzählt hätte, daß Agnes erst vor drei Wochen ganz überraschend mit 87
    einem neuen Ehevertrag gekommen war. In diesem Vertrag wurde festgelegt, daß ihr ganzer Besitz im »Falle ihres Fortgehens« ihm zufallen sollte. Das stand da wirklich: »Im Falle ihres Fortgehens.« Er hatte sich darüber gewundert, daß Juristen das einfache Wort »Tod« nicht benutzen mochten. Und das war Agnes nun, tot.
    Er hatte diesen Vertrag erst zwei Tage vor Agnes’ Tod notariell beglaubigen lassen. Es hatte ihn überrascht, daß die Polizei noch nichts davon gewußt hatte. Vermutlich steckten die Papiere noch immer bei den zuständigen Behörden in irgendeiner Warteschleife. Wie lange das wohl dauern mochte?
    Aber sie würden es herausfinden. Und dann würde es verdächtig wirken, daß er nichts davon erzählt hatte.
    Odd drosselte das Tempo, was den Fahrer hinter ihm zu wütendem Hupen veranlaßte. Er überlegte sich, ob er umkehren sollte. Er hatte die Polizei angelogen.
    Vielleicht würden sie es ja nie herausfinden. Jedenfalls war er jetzt viel zu müde, um eine Entscheidung zu fällen.
    Er mußte die Sache überschlafen.
    Aber er hätte doch zu gern gewußt, was aus den
    dreißigtausend Kronen geworden war.
    Maren hatte die Leitung ganz und gar übernommen. Es hatte sich einfach so ergeben. Angestellte und Kinder betrachteten sie als die neue Chefin, ohne Formalitäten oder Widerspruch. Und auch Terje hatte, obwohl er schon wieder halbtags arbeiten durfte, nichts dagegen, daß sie seinen Job übernahm. Bei den Kindern war erstaunlich schnell der Alltag wieder eingekehrt.
    Sie spielten und zankten sich, lernten und spielten, nur Kenneth schien es noch angst zu machen, daß nur wenige Meter von seinem Schlafzimmer entfernt eine Frau brutal erstochen worden war. Jeden Abend suchte er sein Zimmer mehrere Male nach Mördern und Einbrechern ab, unter dem Bett, in den Schränken und sogar in einer Spielzeugkiste, in der höchstens ein kleines 88
    Kind Platz gehabt hätte. Oder vielleicht ein winzig kleiner, aber lebensgefährlicher Drache. Geduldig ließen die Angestellten ihn sein Ritual vollziehen, ehe sie sich für eine halbe Stunde neben ihn legen mußten, damit er endlich einschlafen konnte.

    Olav war nun seit drei Tagen verschwunden. In ganz Ostnorwegen wurde nach ihm gesucht, und am nächsten Tag sollte die Suchmeldung auch an die Medien gegeben werden.
    Auch bei der Polizei machten sie sich große Sorgen.
    »Und doch scheinen sie ihn nicht mit dem Mord in
    Verbindung zu bringen«, sagte Maren Kalsvik

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