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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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und trommelte mit einem Bleistift auf dem Couchtisch in der guten Stube herum. »Das wundert mich eigentlich. Für die Suche nach ihm sind ganz andere Beamte eingesetzt worden als für die Aufklärung des Mordes.«
    Terje Welby seufzte resigniert.
    »Denen ist wohl klar, daß ein Zwölfjähriger niemanden umbringt«, sagte er. »Jedenfalls nicht so. Mit einem riesigen Messer.«
    »Wenn ein Kind überhaupt einen Mord begeht, dann ja wohl nicht mit einer Schußwaffe«, wandte sie ein. Dann stand sie auf und ging zu der großen, zweiflügeligen Holztür mit dem Spiegel hinüber, die die sogenannte gute Stube vom Aufenthaltsraum trennte.
    Sie drückte die Türhälften in der Mitte zusammen, bis ein leises Klicken ertönte, dann setzte sie sich wieder aufs Sofa, griff zum Bleistift und fing an, nachdenklich darauf herumzukauen. Nach zwei heftigen Bissen zerbrach er.
    »Eins wüßte ich wirklich gern, Terje«, sagte sie leise und spuckte Holzsplitter aus. Sie legte den Bleistift auf den Tisch, spuckte noch einmal aus, blickte ihrem Kollegen ins Gesicht und fragte: »Wo stecken die Papiere aus der Schublade, die die ganze Angelegenheit beweisen könnten?«
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    Er lief augenblicklich knallrot an, und Schweißperlen traten auf seine Oberlippe.
    »Die Papiere? Welche Papiere?«
    Es hörte sich fast wie ein Fauchen an, und er warf einen ängstlichen Blick zu den verschlossenen Türen hinüber.
    »Die Papiere, die beweisen, was du gemacht hast«, sagte Maren. »Die Papiere, die Agnes über den Fall angelegt hatte.«
    »Aber sie wußte doch nichts!«
    Die Verzweiflung malte weiße Flecken in sein rotes Gesicht.
    Er sah krank aus. Sein Oberkörper zuckte, und er jammerte.
    »Dieser verdammte Rücken«, stöhnte er und ließ sich vorsichtig im Sessel zurücksinken. »Du mußt mir glauben, sie hat nichts gewußt.«
    »Du lügst.«
    Sie trug diese Behauptung wie eine unumstößliche Wahrheit vor, unerschütterlich. Sie lächelte sogar dabei, eine erschöpfte und freudlose Grimasse, in der Verzweiflung und Resignation lagen.
    »Ich weiß, daß du lügst. Agnes wußte von der Unterschlagung.
    Oder den Unterschlagungen, sollte ich vielleicht sagen. Ich kann dir alle Einzelheiten nennen, aber nötig ist das wohl nicht. Sie war zutiefst enttäuscht. Und ziemlich wütend.«
    Er war dermaßen außer sich, daß sie daran zweifelte, daß sich das noch steigern ließe. Sie hatte sich geirrt. Er keuchte auf und schnappte nach Luft, und seine Stimme klang wie die eines Kindes, als er endlich herauspressen konnte: »Hat sie dir das gesagt?«
    Es dauerte einige qualvolle Sekunden bis sie antwortete. Sie starrte aus dem Fenster, vor dem nun wieder Schnee fiel, große weiße Flocken, die schmelzen würden, sobald sie den Boden berührten. Maren schüttelte leicht den Kopf und schaute Terje an.
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    »Nein, das hat sie nicht. Ich weiß es aber trotzdem. Und ich weiß, daß sie es beweisen konnte. Diese Beweise wären sicher nicht schwer zu finden, wenn man die Buchführung genau untersuchte. Die Papiere lagen in der Schublade. In der abgeschlossenen. Und sie lagen nicht mehr da, als die Polizei hier war. Sonst hätten sie dich längst eingebuchtet. Und das haben sie nicht. Du bist ja noch nicht einmal verhört worden.«
    Der letzte Satz hörte sich an wie eine Frage. Terje schüttelte zur Bestätigung den Kopf. »Und warum nicht? Soll das eine Form von Psychoterror sein, oder was?«
    Sein Gesicht verfärbte sich langsam. Es war jetzt nicht mehr weiß, sondern rosa. Seine Koteletten kräuselten sich vor Feuchtigkeit, und an seinem linken Ohr liefen drei Schweißtropfen herunter. »Aber ich habe doch fast alles wieder in Ordnung gebracht, Maren! Das habe ich bereits gesagt.
    Herrgott, es geht doch gar nicht um große Summen!«
    »Um ganz ehrlich zu sein, Terje, ich glaube nicht, daß die Höhe des Betrages für die Polizei eine solche Rolle spielen würde.«
    Sie winkte resigniert ab und bedachte ihn mit einem nachsichtigen Blick.
    »Aber ich habe fast alles wieder in Ordnung gebracht! Ich bin ganz sicher, daß Agnes nichts gewußt hat. Sie hatte nicht den geringsten Verdacht. Aber sie hat etwas anderes gewußt, Maren, etwas, das …«
    Mehr sagte er nicht.
    Maren Kalsvik ließ sich demonstrativ in ihren Sessel zurücksinken. Sie hörten einige Kinder im Aufenthaltsraum herumtoben, sie lachten und lärmten. Im ersten Stock dröhnte Raymonds Stereoanlage. Vor den Fenstern fiel der Schnee immer dichter, vielleicht würde er nun doch endlich liegen

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