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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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bleiben. Während der letzten zwei Tage hatte es kräftige Temperaturschwankungen gegeben.
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    Er kam ihr vor wie ein auf frischer Tat ertapptes Kind. Das wild etwas abstreitet, das doch auf der Hand liegt. Sie fing seinen Blick auf und fixierte ihn.
    »Terje. Ich weiß, daß Agnes es gewußt hat. Und du weißt es auch. Ich weiß, daß sie Unterlagen darüber besaß. Das weißt du auch. Ich bin doch deine Freundin, zum Henker!« Das letzte sagte sie mit Nachdruck und schlug zur Bekräftigung auch noch auf den Tisch. »Diese Papiere waren vor Agnes’ Tod da, aber sie waren verschwunden, als die Polizei kam. Da gibt es doch nur eine einzige Erklärung. Du hast sie irgendwann im Laufe des Abends oder der Nacht an dich genommen. Willst du das nicht lieber gleich zugeben?«
    Er saß wie gelähmt da.
    Maren stand auf und wandte sich von ihm ab. Dann fuhr sie plötzlich herum. »Ich kann dir helfen, Terje. Himmel, ich will dir doch helfen! Ich will nicht, daß du wegen etwas verhaftet wirst, das du nicht getan hast. Wir sind hier jeden Tag zusammen, wir essen zusammen, reden miteinander, wohnen fast schon zusammen, Terje! Aber wenn ich das verantworten können soll …« Sie breitete die Arme aus, verdrehte die Augen und murmelte etwas, das er nicht hören konnte. »Ehrlich gesagt, ich verschweige der Polizei etwas. Und das bringe ich nicht über mich, wenn ich nicht weiß, was passiert ist. Und was nicht.
    Begreifst du das nicht? Du darfst nicht mehr lügen. Mich darfst du nicht belügen!«
    Er schien Anlauf zu nehmen. Er holte dreimal rasch und tief Luft.
    »Ich war hier«, flüsterte er. »So gegen Mitternacht. Ich wollte die Papiere holen. Aber ich wollte wirklich nur sehen, wieviel sie eigentlich wußte. Nur das wollte ich wissen, Maren! Als ich sie tot in ihrem Sessel sitzen sah, war das ein schrecklicher Schock.« Er schlug die Hände vors Gesicht und wiegte seinen 92
    Oberkörper hin und her. »Du mußt mir einfach glauben, Maren!«
    »Aber so groß war der Schock nun auch wieder nicht, schließlich hast du die Papiere herausgesucht und
    mitgenommen«, sagte Maren ruhig.
    Sie saß nun wieder und strich sich ununterbrochen mit der rechten Hand durch die Haare.
    »Ja, was hätte ich denn sonst tun sollen? Wenn die Polizei sie gefunden hätte, dann wäre ich doch sofort der Hauptverdächtige gewesen!«
    Glenn riß die Doppeltür auf. Terje fuhr zusammen und knallte mit dem Bein gegen den Tisch.
    »Schei … benkleister«, preßte er mit zusammengebissenen Zähnen hervor und drehte sich zu dem Jungen um, der um Kinogeld bat. »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du anklopfen mußt, ehe du ein Zimmer betrittst? Hä? Wie oft soll ich dir das noch sagen?«
    Wütend packte er den Vierzehnjährigen am Arm und drückte zu. Glenn jammerte und versuchte, sich loszureißen.
    »Laß mich los«, sagte er. »Spinnst du jetzt total, oder was?«
    »Ich hab’s wirklich satt, wie du dich überall breitmachst«, fauchte Terje, ließ den Jungen los und stieß ihn gegen die Wand.
    »Jetzt reiß dich endlich mal zusammen, zum Henker!«
    »Das macht zehn Kronen Abzug vom Taschengeld«, murmelte der Junge und rieb sich den linken Unterarm.
    »Ich wollte doch bloß Kinogeld.«
    Maren bedachte Terje mit einem strengen Blick. Dann zog sie Glenn aus dem Zimmer und steckte ihm einen Fünfziger zu.
    »Ist der krank, oder was?«
    »Er hat Rückenschmerzen«, sagte sie beruhigend. »Und er ist unglücklich. Wegen Agnes. Das sind wir doch alle. Welchen Film willst du sehen?«
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    »›Der Klient.‹«
    »Ist der sehr brutal?«
    »Nein. Ich glaube, das ist ein normaler Krimi.«
    »Gut. Komm danach gleich nach Hause. Und viel Spaß.«
    Der Junge murmelte den ganzen Flur entlang vor sich hin und rieb sich demonstrativ den schmerzenden Unterarm. Maren ging zurück ins Zimmer und machte die Türen wieder zu. Nach kurzem Zögern griff sie zu einem alten schwarzen Schlüssel, der neben der Tür an einem Nagel hing, steckte ihn in das altmodische Schloß und drehte ihn um. Das Metall knirschte, der Schlüssel war vermutlich vor vielen Jahren zuletzt benutzt worden. Dann ließ Maren sich wieder in den Sessel sinken. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie gezeichnet, aber ihre Augen schienen trotz allem zu leuchten. Vor Tatkraft, vor Entschiedenheit. Terje ahnte das mehr, als er es sehen konnte, und wurde optimistischer. »Du sagst der Polizei nichts.«
    Er war jämmerlich. Nicht nur hatte er grob gelogen, hatte verschwiegen, daß er zu einem

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