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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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entschieden.«
    »Also ehrlich, Hanne, es ist viele Jahre her, daß wir uns entschieden haben. Und ich habe damals ganz klar gesagt: Diese Entscheidung gilt nur bis auf weiteres. Jetzt sind wir 99
    sechsunddreißig. Ich merke, daß die biologische Uhr immer lauter tickt.«
    »Du? Biologische Uhr? Ha!«
    Hanne streichelte Cecilies Gesicht, es war glatt, weich und wies nur um die Augen ein winzig kleines, feines Netz aus Lachfältchen auf. Cecilie war nicht nur hübsch, sie wirkte auch unglaublich jung. Wer die beiden noch nicht lange kannte, schätzte Hanne immer mehrere Jahre älter ein, obwohl sie im selben Jahr geboren waren. Ihre Hand glitt zu Cecilies Brüsten hinunter.
    »Laß das«, sagte Cecilie genervt und befreite sich von der ungebetenen Hand. »Wenn wir ein Kind wollen, dann müssen wir uns bald entscheiden. Und das können wir heute abend so gut wie irgendwann sonst.«
    »Nein, können wir nicht, stell dir das vor!«
    Hanne schnappte sich die Bierflasche, die zwischen ihnen stand, und füllte ihr Glas. Dabei bewegte sie die Hand so heftig, daß es überschäumte und der Schaum auf den Tisch und dann auf den Teppich lief. Sie fluchte und lief mit wütenden Schritten in die Küche, um einen Lappen zu holen. Als sie zurückkam, hatte sich schon ein dunkler Bierfleck auf dem gelben Teppich gebildet, und sie brauchte mehrere Minuten zum Aufwischen.
    Cecilie versuchte gar nicht erst, ihr zu helfen. Statt dessen verfolgte sie mit übertriebenem Interesse einen Bericht über einen Mann, der mit dreiundneunzig Jahren in Latein promoviert hatte und außerdem als Holzschnitzer brillierte.
    »Heute abend geht das überhaupt nicht so gut wie irgendwann sonst«, fauchte Hanne. »Ich hatte eine harte Woche, ich habe mich nach dir gesehnt, ich hatte mich auf einen gemütlichen Abend zu Hause gefreut, ich hatte mich auf dich gefreut, ich will nicht mit dir streiten, und außerdem ist es nicht schon viele Jahre her, daß wir uns gegen ein Kind entschieden haben.«
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    Sie schlug mit dem nassen Lappen auf den Tisch, daß die Biertropfen nur so umhersprühten.
    » Du hast uns gegen ein Kind entschieden«, sagte Cecilie leise.
    Hanne sah ein, daß die Schlacht verloren war. Sie mußten diese Sache klären, so wie sie in unregelmäßigen und immer größer werdenden Abständen die grundlegenden
    Voraussetzungen des schwierigen Lebens durchsprechen mußten, für das sie sich vor hundert Jahren entschieden hatten, als sie Abitur gemacht und sich kennengelernt und das Leben ernsthaft entdeckt hatten. Hanne haßte diese Diskussionen.
    »Du haßt jede Diskussion über Probleme«, sagte die Gedankenleserin. »Wenn du auch nur eine Ahnung davon hättest, wie schwer das für mich ist. Ich muß wochenlang Kräfte sammeln, wenn ich ein Thema zur Sprache bringen will, das eine von uns unglücklich macht.«
    »Alles klar. Schieß los. Alles ist meine Schuld. Ich habe dein Leben ruiniert. Sind wir jetzt fertig?«
    Hanne breitete die Arme aus und verschränkte sie vor der Brust. Sie starrte auf den Bildschirm, wo die blonde Moderatorin, nun in Trachtenstrickjacke, oben auf der Holmenkollenschanze stand und eine elfjährige Skispringerin vorstellte.
    »Hanne«, setzte Cecilie an und verstummte dann für einen Moment. »Natürlich kommt ein Kind nicht in Frage, wenn du nicht willst. Wir müßten es schon beide wollen.
    Hundertprozentig. Ich kann ein Nein von dir akzeptieren. Aber ist es wirklich so unbegreiflich, daß ich mit dir darüber sprechen möchte?«
    Cecilie hörte sich weder böse noch abweisend an. Trotzdem saß Hanne weiterhin unbeweglich da, und ihr Blick fixierte die kleine Sportlerin, die einen Sprung von sechzig Metern hinlegte.
    Jetzt war Cecilie diejenige, die nach der Fernbedienung griff.
    Es wurde still, der Bildschirm schwarz, und nur ein kleiner 101
    weißer Punkt blieb übrig, der immer kleiner wurde und verschwand schließlich in der Finsternis.
    »Ich wollte diese Sendung eigentlich sehen«, sagte Hanne und starrte die Stelle an, an der der weiße Punkt verschwunden war.
    »Ich kann zwei Dinge auf einmal tun.«
    Und dann fuhr sie zusammen. Cecilie weinte. Cecilie weinte fast nie. Hanne war diejenige, die dicht am Wasser gebaut hatte.
    Cecilie brachte immer alles in Ordnung, sie war ruhig und logisch, sie war klug und mutig und konnte der Welt mit einer niemals versagenden Vernunft gegenübertreten. Hanne kniete vor Cecilie nieder und versuchte, ihr die Hände vom Gesicht wegzuziehen. Das gelang ihr

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