Das einzige Kind
sich auf. »Ich habe das Gefühl, daß es dem Kind gegenüber nicht richtig wäre.«
Cecilie protestierte.
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»Dem Kind gegenüber nicht richtig? Aber überleg doch mal, was wir einem Kind zu bieten hätten! Auf jeden Fall mehr, als die allermeisten anderen Kinder in Norwegen haben. Gescheite Eltern, gesichertes Einkommen, zumindest einen Satz Großeltern …«
Für einen kurzen Moment lächelten sie beide.
»Doch«, sagte Hanne, »wir hätten sehr viel zu geben. Aber dann weiß ich, daß es verdammt ungerecht wäre, einem Kind das Leben schwerzumachen, wo ich nicht einmal selbst in den Spiegel zu schauen wage. Denk an all die Gemeinheiten, die dem Kind vielleicht an den Kopf geknallt werden. In der Schule.
Auf der Straße. All die Fragen. Und ich finde wirklich, daß jedes Kind einen Vater haben müßte.«
»Aber den könnte es doch haben. Claus ist schon seit Jahren dazu bereit.«
»Also ehrlich, Cecilie! Soll unser Kind hier zwei Mütter und bei Claus und Petter zwei Väter haben? Das wäre wirklich witzig bei der Weihnachtsfeier in der Schule!«
Cecilie widersprach nicht länger. Nicht, weil sie Hanne zugestimmt hätte. Sie war vollkommen anderer Meinung. Claus und Petter waren sympathische, gebildete, liebe, kluge und ausgeglichene Männer. Hanne und sie liebten und stritten sich nun schon seit fast siebzehn Jahren. Und damit würden sie wohl bis an ihr Lebensende weitermachen. In ihrem Leben gab es jede Menge Platz für ein Kind. Sie hätte viel dazu sagen können.
Aber sie sagte nichts. Sie wußte selbst nicht, warum.
»Ich meine wirklich, ein Kind sollte dadurch entstehen, daß eine Mutter und ein Vater sich lieben«, sagte Hanne leise und schmiegte sich enger an Cecilie. »Gut, das ist nicht immer so. Es gibt jede Menge Kinder, die unbeabsichtigt entstehen, durch Unachtsamkeit, außerhalb der Ehe, außerhalb der Liebe. Vielen geht es trotzdem gut. Sie sind alle gleich wertvoll.«
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Sie richtete sich auf und trank einen Schluck Bier. Dann ließ sie sich wieder zurücksinken und drehte das Glas in ihrer Hand, während sie langsam den Kopf schüttelte. »Das alles weiß ich ja. Aber wenn die Entscheidung bei mir liegt, dann will ich es nicht so haben! Ich würde das Beste für mein Kind wollen, und das kann ich ihm nicht geben! Verstehst du das nicht?«
Das tat Cecilie nicht. Aber sie verstand, daß Hanne ein seltenes Mal ihre innersten Winkel zumindest einen Spaltbreit geöffnet hatte. Das allein war schon so ungewöhnlich, daß sie im Moment nicht mehr brauchte. Sie lächelte und streichelte Hannes Rücken.
»Nein, das verstehe ich nicht. Aber es ist schön, daß du es mir erzählst.«
Die Stille wurde nur vom leisen Geräusch des Glases durchbrochen, das sie in ihrer Hand drehte.
»Adoptieren wäre etwas ganz anderes«, sagte Hanne plötzlich und sprang abrupt auf. »Denk an all die Kinder, die Schlange stehen! Die niemand will. Ein gutsituiertes Lesbenpaar in Oslo wäre doch tausendmal besser als zum Beispiel eine Straße in Brasilien.«
»Adoptieren«, murmelte Cecilie müde. »Du weißt doch, daß das verboten ist.«
Sie starrten einander in die Augen.
»Ja«, sagte Hanne. »Das ist verboten. Und das ist nicht richtig.
Daran wird sich auch bald was ändern.«
»Bis dahin sind wir zu alt.«
Keine wandte den Blick ab.
»Ich will nicht, daß wir unser eigenes Kind haben, Cecilie. Ich werde es niemals wollen.« Mehr war dazu nicht zu sagen.
Hanne fühlte sich wie gerädert. Und sie hatte pochende Kopfschmerzen. Zugleich erfüllte sie eine unerklärliche Erleichterung, doch die konnte das Schuldgefühl, das sie nie 106
verließ, das sie immer quälte, nicht wirklich lindern. Manchmal war dieses Gefühl stark, manchmal nur ein leises, leises Ziehen.
Cecilie stand ebenfalls auf und blieb einige Sekunden lang vor Hanne stehen, dann ließ sie ihre Hand langsam über deren Gesicht gleiten.
»Laß uns essen, ja?«
Hanne schaltete den Fernseher ein, um zum Freitagabend zurückzukehren. Im NRK sprach Fernsehmoderator Petter Nome, als sei nichts geschehen.
Von der Tapete an der einen Wand war nichts mehr übrig, abgesehen von einigen Fetzen, die er nicht hatte abreißen können. Kleine und große Papierstücke rollten sich auf dem Boden, es sah fast so aus wie im Werkunterricht. Er wollte diese Wand erst fertig haben, ehe er mit der nächsten begann. Es machte ziemlichen Spaß, ein- oder zweimal hatte er Streifen von fast einem Meter Länge abreißen können.
Aber obwohl noch
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