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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Kenneth und den Zwillingen vor dem Fernseher Gesellschaft zu leisten.

    »Die Osloer Polizei sucht den zwölf Jahre alten Olav Håkonsen, der am Dienstag abend von zu Hause verschwunden ist. Der Junge trägt vermutlich Jeans, einen dunkelblauen Anorak und Turnschuhe.«
    »Himmel, ich dachte, solche Meldungen kämen nicht mehr in den Fernsehnachrichten«, rief Cecilie Vibe, die lässig, wie sich das für einen Freitagabend gehörte, auf dem Sofa lag.
    Ein undeutliches und ziemlich unbrauchbares Bild des Jungen wurde zu der Vermißtenmeldung gezeigt, die eine blasse Frau mit ovalem, unbeteiligtem Gesicht und bemerkenswert angenehmer Stimme vorlas.
    »Es gibt Ausnahmen«, murmelte Hanne und brachte Cecilie mit einer Handbewegung zum Verstummen.
    »Olav ist etwa einsachtundfünfzig groß und kräftig gebaut.
    Hinweise nehmen die Polizei in Oslo und sämtliche anderen Dienststellen entgegen.«
    Dann berichtete die gutangezogene Sprecherin von einer Katze mit zwei Gesichtern, die angeblich in Kalifornien das Licht der Welt erblickt hatte.
    »Was heißt kräftig«, sagte Hanne. »Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist der Junge ein wahrer Fettwanst.«
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    Sie schaltete auf TV 2 um, wo eine dunkelhaarige Frau lächelte und über gar nichts plauderte. Sie schaltete zurück zu den Nachrichten und der Wettervorhersage.
    »Massier mich doch ein bißchen«, bat sie und legte Cecilie ihre Füße auf den Schoß.
    »Wo der Junge wohl steckt«, überlegte Cecilie und ließ geistesabwesend ihre Finger über Hannes Fußsohlen gleiten.
    »Wir haben einfach keine Ahnung. Und das wird langsam ein bißchen unheimlich. Wir waren ziemlich sicher, daß er auf irgendeine Weise zu seiner Mutter zurückfinden würde, aber das ist ihm nicht gelungen. Oder er hat keine Möglichkeit dazu gehabt. Zieh mir doch auch die Socken aus.«
    Cecilie streifte Hanne die weißen Baumwollsocken von den Füßen und ließ ihre Finger wieder wandern. »Meint ihr, ihm ist etwas passiert?«
    »Was heißt schon passiert? Der Junge ist schließlich abgehauen, da ist es doch klar, daß er sich versteckt. Sonst hätten wir allerdings eine Scheißangst. Kindesentführung und so. Aber er versteckt sich bestimmt. Er ist zwölf und kann das sicher noch eine Weile durchhalten. Wir gehen davon aus, daß er aus eigenem Entschluß durchgebrannt ist. Ich kann mir kaum vorstellen, daß er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
    Wenn wir davon ausgehen, daß er die Heimleiterin nicht umgebracht hat – und davon gehen wir aus –, dann hat sein Verschwinden vermutlich mit dem Mord überhaupt nichts zu tun. Er hat während seiner ganzen Zeit im Heim damit gedroht, daß er durchbrennen würde. Aber natürlich machen wir uns Sorgen. Zum Beispiel kann er etwas gehört oder gesehen haben.
    Und das würde uns sehr interessieren. So oder so, ein durchgebrannter Zwölfjähriger, das ist auf keinen Fall gut. Oh, bitte nicht aufhören!«
    Cecilie massierte weiter, wenn auch nicht mit großer Begeisterung.
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    »Wie sieht eigentlich so ein Kinderheim aus? Ich dachte, so was gäb’s gar nicht mehr. Und warum haben sie gesagt, er sei von ›zu Hause‹ verschwunden?«
    »Sie wollten ihn nicht allzusehr stigmatisieren, nehme ich an
    … Das Kinderheim sieht fast aus wie ein normales Haus, nur viel größer. Eigentlich gemütlich. Den Kindern scheint es da gutzugehen. Ich glaube nicht, daß es noch viele solche Heime gibt. Einrichtungen für Heranwachsende heißen sie amtlich. Die meisten Kinder werden heute in Pflegefamilien gegeben.«
    Cecilie massierte nun mit größerer Hingabe und ließ federleichte Finger die Wade hoch und unters Hosenbein wandern. Vom Fernseher her verkündete eine respektlose Grieg-Interpretation, daß nun der wöchentliche Blick auf kuriose Ereignisse in Norwegen folgte. Hanne griff zur Fernbedienung, um die Musik leiser zu stellen. Sie setzte sich auf, ohne die Beine zu bewegen, und schmiegte sich an ihre Liebste. Sie küßten sich, lange und verspielt.
    »Warum können wir kein Kind haben?« fragte Cecilie an Hannes Mund.
    »Wir können sofort versuchen, eins zu machen.« Hanne lächelte.
    »Red keinen Unsinn.« Cecilie zog sich zurück und schob Hannes Füße auf den Boden. Hanne blies die Wangen auf und stieß dann die Luft demonstrativ wieder aus.
    »Jetzt nicht, Cecilie. Nicht jetzt diese Diskussion.«
    »Wann denn?«
    Sie sahen einander an. Ein alter, fast vergessener Krieg loderte wieder auf.
    »Nie. Damit sind wir durch. Die Sache ist

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