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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Håkonsen in seiner eigenen Wohnung in Deckung gegangen sei.
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    Aber immerhin, der Junge war am Leben. Das war doch auch ein Trost.
    Zwei Tage nach dem Anruf des Betreuers war das Jugendamt zur Stelle. Olav war gerade elf geworden. Ich hatte sie nicht erwartet. Ich war davon ausgegangen, daß sie mich zu sich bestellen würden. Ich hatte schon im Branchenfernsprechbuch nach einem Anwalt gesucht. Darauf hatte ich Anspruch, die Kosten würden übernommen werden, das wußte ich. Aber im Telefonbuch stand so wenig darüber, was die einzelnen Anwälte machten, und viele schienen sich ganz unterschiedlich spezialisiert zu haben.
    Da standen sie also vor der Tür. Zwei, eine Frau und ein Mann. Ich war keinem von ihnen je begegnet, aber ich hatte auch schon jahrelang nichts mehr mit dein Jugendamt zu tun gehabt. Sie waren recht freundlich, nehme ich an, ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Sie wollten eine Untersuchung in die Wege leiten, teilten sie mir mit. Auf der Grundlage von etwas, das sie » Besorgnismomente « nannten.
    Besorgnismomente! Ich machte mir seit über elf Jahren Sorgen um den Jungen, und jetzt erst kamen sie. Sie fragten, ob sie hereinkommen dürften, und sie sahen sich so um wie die Frau vom Sozialamt, damals, als Olav noch ein Baby gewesen war. Verstohlen irgendwie und doch ganz offensichtlich.
    Es war ein Donnerstag, und ich hatte gerade in der ganzen Wohnung geputzt. In der Hinsicht konnten sie mir also keine Vorwürfe machen. Ich bot Kaffee und Kekse an, aber sie rührten nichts an. Ob sie wohl glaubten, ich wollte sie vergiften?
    Dann erzählten sie mir all das, was ich ohnehin schon wußte.
    Daß Olav sich abweichend und aggressiv verhielt, daß er von den älteren Kindern immer wieder zu irgendwelchen dummen Streichen verleitet wurde. Daß er in der Schule nicht gut genug war und andere vom Lernen abhielt. Daß er zu dick war. Wie wir uns eigentlich ernährten? Ich war wütend, das weiß ich 218
    noch genau. Ich zog die Frau in die Küche und riß den Kühlschrank auf Milch, Käse, Fischfrikadellen vom Vortag.
    Margarine und Zwiebeln und eine Tüte Äpfel.
    Sie machte sich Notizen, und ich konnte sehen, daß sie
    » Vollmilch « schrieb. Da gab ich auf. Mein Junge trank nun einmal weder fettarme noch Buttermilch. Hielten sie es denn für besser, ihm überhaupt keine Milch zu gehen?
    Sie blieben lange, und ich kann mich wie gesagt an vieles nicht mehr erinnern. Zum Glück war Olav nicht zu Hause – allerdings schauten sie immer wieder vielsagend auf die Uhr, als es dunkel wurde und er sich noch immer nicht blicken ließ. Sie wollten sich bei verschiedenen Instanzen erkundigen, sagten sie, daß könne einige Monate dauern. Dann wollten sie wissen, ob ich gegen eine fachliche Begutachtung etwas einzuwenden hätte.
    Ein Psychologe oder Psychiater würde mit uns beiden sprechen, danach würde das Jugendamt dann » besser beurteilen können, was wir brauchten « .
    Etwas einzuwenden? Ich hatte über fünf Jahre lang versucht, den Kopf des Jungen untersuchen zu lassen, ohne irgendwo Hilfe zu finden. Natürlich hatte ich nichts dagegen einzuwenden.
    Ich wußte schließlich, daß irgend etwas nicht stimmte. Und das hätte längst ermittelt sein müssen. » Besser spät als nie « , sagte ich und registrierte, daß die beiden einen Blick wechselten. Aber warum ein Psychologe mit mir reden sollte, konnte ich nicht begreifen. Das zuzulassen, hätte doch ein Eingeständnis bedeutet, daß ich an allem schuld sei. Also weigerte ich mich.
    Als die Sachverständige ihre Arbeit endlich aufnahm, erklärte ich mich doch damit einverstanden, daß sie Olav und mich zweimal in unserer Wohnung besuchte. » Kommunikations-beobachtung « nannte sie das nachher in ihrem Bericht. Ich fand mich darin überhaupt nicht wieder. Alles wurde verzerrt und verdreht. Ich versuchte, meinem Anwalt klarzumachen, daß es nicht meine Schuld war, wenn Olav abends spät ins Bett ging.
    Ich konnte natürlich versuchen, ihn zu zwingen, aber dann hätte 219
    es nur Krach gegeben, und es war doch sicher besser, wenn wir uns gut verstanden und Ruhe herrschte, statt daß der Junge schlaflos im Bett lag. » Ernsthafte Grenzziehungsprobleme « , schrieb die Psychologin.
    Wie ich vorausgesehen hatte, stellten sie fest, daß er an MCD
    leidet. Die Untersuchung ergab zwar » einen niedrigen Grad von MCD « , aber mein Anwalt versicherte mir, daß sie sich immer so ausdrückten.
    Ich hatte es die ganze Zeit gewußt. Und niemand hatte auf

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