Das einzige Kind
entsetzliche Angst haben würde, solange er unterwegs war. Fast hätte er seine Absicht aufgegeben.
Aber er konnte nicht in der Wohnung bleiben. Sie war in diesem Moment ganz einfach zu klein. Er schüttelte seine Mutter ab und schnappte sich aus einer Schale, die auf der Kommode in der Diele stand, hundert Kronen. Er achtete nicht mehr auf das Weinen seiner Mutter und schloß die Tür hinter sich.
Als er die kühle Februarluft im Gesicht spürte, vergaß er seine Mutter und spürte fast so etwas wie Glück. Sicherheitshalber hatte er eine große Mütze aufgesetzt. Und es war schließlich schon dunkel, deshalb konnte ihn zumindest aus der Entfernung niemand erkennen. Außer dem gemopsten Hunderter hatte er noch fünfzig Kronen in der Tasche, sein unberührtes Taschengeld für zwei Wochen. Seine Mutter gab ihm weiter Taschengeld, obwohl er offiziell im Kinderheim wohnte. Er hatte sie früher an diesem Tag darum gebeten und es auch bekommen, obwohl sie dabei ein seltsames Gesicht gemacht hatte.
Am liebsten wäre er ins Einkaufszentrum gegangen. Er hatte Geld, um sich etwas Leckeres zu kaufen oder vielleicht an den Automaten zu spielen. Er konnte auch beides tun. Aber natürlich konnte er nicht hingehen. Da konnte er zu leicht erkannt werden.
Was er tun konnte, war, mit dem Bus in ein anderes Einkaufszentrum fahren, in einen ganz anderen Stadtteil. Er war einige Male in Storo gewesen. Seine Mutter kannte dort von früher her eine Friseuse, die ihnen beiden ziemlich billig die Haare schnitt. Ihr verdankte er auch die Punkfrisur, die jetzt langsam verschwand, die eine Hälfte seines Kopfes war nicht 213
mehr ganz kahl. Er hatte seine Frisur fetzig gefunden, seine Mutter dagegen hatte ein müdes, trauriges Gesicht gemacht, als sie ihn damit gesehen hatte.
Er wollte nach Storo. Auch wenn er nicht mehr wußte, ob er dort Spielautomaten gesehen hatte.
Auf den Bus brauchte er nur wenige Minuten zu warten. Er reichte dem Fahrer wortlos den Fünfziger und steckte das Wechselgeld in die Tasche, dann setzte er sich in dem fast leeren Bus nach ganz hinten. Es war später Nachmittag, fast schon Abend, aber es war Donnerstag, und deshalb würde im Einkaufszentrum noch einiges los sein. So war es im Grunde am besten, fand er.
Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Er fing an, mit seinem Taschenmesser den Bussitz zu zerschneiden, aber dann setzte sich ein Mann neben ihn, und er mußte damit aufhören.
Olav verknackste sich den Fuß, als er aus dem Bus sprang, und er jammerte ein wenig. Der Schmerz erinnerte ihn an seine Mutter, und damit war seine gute Laune verschwunden.
Es gab auch keine richtigen Spielautomaten, sondern nur eine bescheuerte Lotteriemaschine, an der er garantiert nie etwas gewinnen würde, und eine Art Einarmigen Banditen, der auch nicht weiter witzig war. Aber es gab zwei Cafés, und er hatte Hunger. Das eine war eine Art feinerer Imbiß, wo warmes Essen und Bier serviert wurden. Das andere war eher eine Konditorei.
Dorthin ging er. Es gab mehrere freie Tische, und er kaufte sich eine große Cola und zwei Stück Kuchen.
Das Einkaufszentrum von Storo kam ihm viel altmodischer vor als das bei ihm zu Hause, und es war auch um einiges kleiner. Aber gemütlich war es trotzdem. Am Nachbartisch saß ein unglaublich alter Mann und führte Selbstgespräche. Olav mußte über die vielen komischen Dinge lachen, die der Alte sagte. Er verschüttete die ganze Zeit seinen Kaffee, und die Kellnerin war ziemlich sauer, als sie zum drittenmal einen 214
Lappen bringen mußte. Als der Mann merkte, daß Olav seinen Monolog verfolgte, zog er seinen Stuhl zu Olavs Tisch hinüber und brabbelte weiter über den Krieg und das Meer und seine Frau, die schon lange tot war. Olav fand das alles wunderbar und bestellte für sich noch eine Cola und für den Alten noch einen Kaffee; der Alte lächelte und bedankte sich wirklich überschwenglich.
Er war so lustig, daß Olav nicht rechtzeitig reagierte. Zwei uniformierte Polizisten kamen auf das Café zu.
Der Junge blieb ganz still sitzen. Nicht, weil das das einzig Vernünftige war, sondern aus purer Panik. Die Möglichkeit, der Polizei zu begegnen, war ihm so unendlich fern vorgekommen.
Die Kellnerin winkte den Polizisten zu.
»Jetzt sitzt er schon seit vier Stunden hier und trinkt nur Kaffee. Er kleckert und stört die anderen Gäste«, beklagte sie sich und zeigte auf den alten Mann.
Der hielt zum erstenmal, seit Olav hier war, den Mund und versuchte, sich hinter seiner
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