Das Ekel von Datteln
aus dem Uniformrock und gab eine Folge schneller Kommandos.
Zwei Minuten später rückte Bereitschaftspolizei an. Die Beamten bildeten eine Kette und drängten die Gruppe vom Ufer weg. Schritt um Schritt wichen die Demonstranten zurück. Einige ließen sich zu Boden sinken, behutsam griffen die Polizisten zu und trugen sie davon. Noch konnte alles friedlich enden.
In diesem Augenblick rührten sich die Punks. Sie sprangen auf und rannten los. Ein kräftiger Bursche in verschossenem Muscle-Shirt holte aus und schickte einen Gegenstand auf eine Flugreise. Das Geschoss war handlich, seine Hülle bestand aus Plastikfolie, der Inhalt aus einer leuchtend roten Suppe. In nahezu idealem Bogen überwand der Farbbeutel die Versammlung braver Bürger und klatschte vor die Füße des Bürgermeisters. Beim Aufprall zerplatzte er, und die Brühe spritzte umher. Roggenkempers Hemd und Hose bekamen am meisten ab.
Die Wirkung der Attacke war enorm.
Die Getroffenen schrien auf und brachten die Menge hinter sich in Unordnung. Roggenkemper starrte ungläubig auf die blutroten Flecken auf seinem Hemd und fuchtelte mit den Armen. Der Polizeikommissar brüllte Befehle, die im Lärm untergingen.
Vom Minensucher keuchte ein zweiter Zug Polizisten den Kanalweg herauf. Auf dem Uferdamm wurden sie mit einer Salve Farbbeutel empfangen. Ein Augenblick des Zögerns, dann stürzten sie sich auf Punks und Demonstranten. Schlagstöcke wirbelten, Transparentstoff riss, Holz krachte, Menschen brüllten. Eine Flut von Hass brach sich Bahn.
Zwei von diesen Schlagmaschinen holte Mager mit dem Zoom heran. Sie hielten einen jungen Burschen an den Armen, während ihm ein Dritter mit voller Wucht in den Unterleib trat.
Dicht daneben das Gleiche: Zwei Bullen zerrten eine Frau an den Haaren, ein Dritter zog ihr wieder und wieder den Schlagstock über den Rücken.
Polizeisirenen, Blaulicht. Zwei Wannen rasten heran, die Türen wurden aufgerissen, die Festgenommenen hineingeprügelt. Wer nicht schnell genug war, dem half man mit den Stiefeln nach.
Neuer Schwenk: die Leute.
Viele waren zurückgewichen, angstvoll, entsetzt. Aber da war auch dieser Schrank von einem Kerl, ein Grinsen im Gesicht. Zwei junge Frauen, die vor Begeisterung kreischten. Ein Graukopf mit Marinemütze, Geifer im Maul – als sie einen Punk an ihm vorbeizerrten, schwang er den Krückstock und prügelte mit.
Und Roggenkemper. Weiß vor Wut. Als eine Gruppe von Demonstranten versuchte, den Kanal entlang zum Bootshaus zu fliehen, trieb der Bürgermeister die Verfolger an: »Nachsetzen, draufhauen, nachsetzen!«
Nach zehn Minuten war alles vorbei. Die Menge schwappte über dem Kampfplatz zusammen wie die See über einem gesunkenen Schiff. Die Zuschauer drängten wieder zum Ufer, und selbstlos überreichte Roggenkempers Chauffeur dem Chef sein eigenes, blütenweißes Hemd.
Die Bundeswehrkapelle spielte, ein Sturmboot legte an. Der Chef der Flusspioniere ging an Land. Die Hand am Mützenschirm, marschierte auf den Bürgermeister zu. Roggenkemper nahm Gruß und Meldung entgegen, mit gewölbter Brust und durchgedrücktem Kreuz, die Augen wie aus Granit gemeißelt.
Kaum hatte Mager die Zeremonie im Kasten, sprang er vom Bootsdach, koppelte die Kamera vom Rekorder ab und lief über die Metallgitterbrücke zurück an Land.
»Wo willst du hin?«, schrie Susanne.
»Pissen!«
Im Ausstellungsraum der Sportbootfirma drängte er ein paar neugierige Wassersportfans zur Seite und stürzte zu dem Schreibtisch, von wo aus ein Rentner darüber wachte, dass keiner der Besucher einen Außenborder klaute.
»Habt ihr noch ein zweites Telefon?«
»Durch die Tür da. Aber …«
Fünfzehn Monate vor diesem Septembertag hatte Holger Saale noch davon geträumt, einst Chefreporter der Hamburger Nachtausgabe zu werden. Denn bei seinen Recherchen über barmherzige Schwestern und gnadenlose Kreisklassentrainer war er immer wieder über Leichen gestolpert. Doch womit sonst Karrieren beginnen, damit hörte seine eigene auf: Die Toten dokumentierten stets Skandale, die weder dem Senat der Hansestadt noch den Eignern des Blattes gefielen. Nach der Volontärzeit wurde er ausgemustert. (Vgl. Leo P. Ard: Roter Libanese und Fotofalle, zwei Weltkreis-Krimis – der Säzzer)
Dem beruflichen Tiefschlag folgte der private Knockout: Saales Freundin wollte zum Kaffeepflücken nach Nicaragua, er nicht. Claudia ging trotzdem. Wochen später las ihn Susanne Ledig im Geelhaus, seiner Stamm-Kneipe, auf. Als er am
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