Das Ekel von Datteln
selbst dazu.
Als er fertig war, folgte ihm die halbe Nachtschicht – ebenso zwei weitere Bullen, die sie dazu eigens aus der Kneipe oder aus dem Bett geholt hatten. Die Einzigen, die sich geweigert hatten, von diesem Angebot Gebrauch zu machen, war die Besatzung des anderen Passat gewesen.
Michalski hatte sich für einen Hunderter überreden lassen, seine eigene Schicht am Samstagnachmittag gegen Lusebrinks Nachtdienst zu tauschen. Fettsack hatte aber im Laufe der Nacht seinen Einsatz doppelt wieder hereingeholt. Von jedem »Besucher« des Mädchens hatte er dreißig Mark kassiert.
»Zum Kotzen ist das«, meinte Brennecke, als sie wieder in ihrem Golf saßen. »Was für ein Gesindel in unserem Verein herumläuft …«
Lohkamp schniefte nur. Er kannte noch ganz andere.
28
Wilde Punkmusik ließ die Dachpfannen über Saales Bodenzimmer tanzen. Helga saß in seinem Bademantel am Esstisch, rauchte einen langen, schwarzen Zigarillo und sah zu, wie er das Nachtmahl bereitete: Schwarzbrot, ein Glas Cornichons, drei Tomaten, ein halbes Dutzend Spiegeleier und Dosenpfirsiche zum Dessert.
Sie kicherte plötzlich.
»Was ist los?«, fragte er verunsichert.
»Nichts«, meinte sie. »Ich überlege gerade nur, nach welcher Industrienorm Junggesellen ihre Vorräte zusammenstellen. Wenn du in die Kühlschränke guckst, gibt es keine Unterschiede …«
»Was soll das heißen?«
Sie antwortete nicht, wurde aber plötzlich rot im Gesicht.
Er drohte ihr mit Brotmesser: »Ich glaube, PEGASUS sollte mal dein Vorleben durchleuchten. Da tun sich sicher Abgründe auf, von denen Normalbürger wie ich nicht das Geringste ahnen …«
Nun kicherten sie beide und stürzten sich auf das kulinarische Meisterwerk.
»Zeigst du mir mal eure Firma?«, fragte sie, als sie den Nachtisch löffelten.
»Kann ich«, meinte er. »Aber erwarte nicht zu viel. Auf Kundenwerbung übertreiben wir mindestens so gut wie dein Oberprokurist, wenn er Kredite erschleichen will …«
Er zog sich eine Jogginghose an, und sie kletterten die Treppen hinab. Als eine der ausgetretenen Stufen besonders laut ächzte, blieb Saale unwillkürlich stehen und hielt den Atem an. Helga prustete laut los.
»Ich glaube, deine Mutter wohnt doch nicht in Hamburg«, feixte sie und deutete auf Susannes Tür im ersten Stock.
»Schlimmer« flüsterte er und legte in übertriebener Heimlichtuerei den Zeigefinger auf die Lippen: »Meine Chefin!«
Die Firmenräume waren in der Tat nicht dazu geeignet, Eindruck zu schinden. Die beiden Büros auf der Straßenseite waren mit zwei Schreibtischen, ein paar Regalen und den Besucherstühlen schon hoffnungslos überladen. Auch Magers Bastelraum war kaum größer und weit davon entfernt, so ähnlich auszusehen wie die mit Elektronik überladenen Schneideräume und Tonstudios einer Fernsehanstalt, musste aber zusätzlich als Archiv herhalten.
»Also, berühmt ist das wirklich nicht!«, meinte Helga nach der Betriebsführung, die gerade zwei Minuten dauerte.
»Stimmt!«, nickte Saale. »Aber im Gegensatz zum Puth-Imperium stehen wir wirtschaftlich auf gesunden Füßen. Unsere Schulden sind höchstens halb so hoch wie eure …«
Sein Zeigefinger fuhr an einem Holzregal entlang, in dem sich ein halbes Hundert Kassetten aneinanderreihte. Mit zur Seite gelegtem Kopf überflog er die Etiketten.
»Soll ich dir mal einen Klassiker zeigen?«, fragte er und zog eine Hülle heraus. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er das Band ein.
Der Monitor flimmerte, dann erschien auf dem Bildschirm eine Zahnarztpraxis: Ein weit über die Grenzen von Dortmund-Kley hinaus gefürchteter Dentist demonstrierte seinen Kunden am lebenden Objekt, welche Sorten Zahnersatz man bei ihm erhalten konnte und wie das Zeug montiert wurde. Dass zwischendurch lächelnde Arzthelferinnen, blinkende Instrumente und die Kunststoffblümchen auf den Fensterbänken eingeblendet wurden, nahm dem Schocker nichts von seiner Wirkung.
Schon nach wenigen Minuten wandte sich Helga schaudernd ab: »Ich gehe nie mehr mit ungeputzten Zähnen ins Bett. Wie haben die Patienten das nur ausgehalten?«
»Mit der doppelten Anzahl von Spritzen und einer Erste-Hilfe-Flasche mit Schnaps. Aber die haben die Folterkammer trotzdem nie mehr betreten.«
Saale verstaute die Kassette und legte eines der Bänder ein, die sich in einem Fach stapelten, über dem ein Zettel mit der Aufschrift »Datteln« klebte.
»Hier, erste Bilder aus dem Sensations-Video über die Weltstadt an der Lippe
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