Das Ekel von Datteln
Bauaufsicht schon den Mund gestopft haben.«
»Oder die Augen verklebt«, meinte Saale und imitierte mit Daumen und Zeigefinger Dagobert Ducks Lieblingsbeschäftigung.
»So läuft hier alles. Damit Puth den Bau nicht abreißen muss, ist er dem Bürgermeister gefällig, und dafür hat er selbst wieder einen Wunsch frei. Eine Hand wäscht …«
»Ich weiß schon!«
Ihre Hand suchte nach dem Türgriff: »Komm jetzt! Und halt die Klappe – die Sprechanlage funktioniert in zwei Richtungen.«
Sie stiefelten los. Puths Residenz war wirklich vom Feinsten. Bereits das mit roten Ziegeln hochgezogene Erdgeschoss hätte gereicht, um alle Wohnungen und die Büros des PEGASUS-Teams aufzunehmen. Darüber thronten aber noch zwei Etagen im Mansardenstil.
Puth empfing sie in einem geräumigen Arbeitszimmer aus deutscher Eiche. Seine faltigen Wangen leuchteten in einem ungesunden Rot, und sein Händedruck ließ alle Kraft vermissen, mit der er einst Steine geschleppt hatte. Als er aufstand, hielt er sich an der Schreibtischkante fest.
»Schön, dass Sie gekommen sind, Frau Kronenberger. Und das ist sicher …«
»Herr Saale von PEGASUS …«
»Ja, ich weiß«, nickte Puth. »Wir haben uns, glaube ich, während der Betriebsführung für die Herren aus Zürich gesehen. Bitte, setzen Sie sich! Tut mir leid, dass ich mich in Ihrer Angelegenheit nicht gut genug auskenne …«
»Das ist kein Problem, Herr Puth. Wir haben unsere Empfehlung für das Drehbuch und das Kostenexposé ausgearbeitet. Ich lasse Ihnen die Unterlagen hier, damit sie die Filmkonzeption in Ruhe überdenken und gegebenenfalls Änderungen vornehmen können …«
Puth nickte: »Schön.«
Er ließ sich von Helga die Unterschriftenmappe vorlegen und setzte mit zittrigen Händen seine Brille auf. Bevor er den ersten Brief unterschrieb, überflog er ihn, den nächsten auch noch, aber dann schien ihm das Verfahren zu langwierig zu werden, und er blickte nur noch kurz auf das Adressenfeld links oben, ehe er seinen Namenszug unter den Text setzte.
»Ist das Gutachten von Dr. Boos noch nicht eingetroffen?«, fragte er zwischendurch.
Helga schüttelte den Kopf.
»Wenn es morgen früh nicht in der Post ist, dann mahnen Sie es bitte an. Telefonisch. Herr Boos müsste wissen, dass die Sache eilig ist.«
Helga versprach es ihm und schlug die nächste Seite der dicken Ledermappe auf.
»Gibt es noch etwas Neues?«, fragte er, als er seinen Füllhalter zuschraubte.
»Ja, Herr Puth«, begann Helga. »Der Betriebsrat lässt fragen, ob mit dem Kranz für Frau Michalski so verfahren wird wie bei anderen Todesfällen. Und ob einige Mitarbeiter für die Beerdigung freigestellt werden können.«
Einen Augenblick lang starrte Puth sie fassungslos an. Dann sank er Stück für Stück in sich zusammen. Ein alter, verbrauchter Mann. Mehrere Herzschläge lang sagte niemand ein Wort.
»Ja, natürlich«, flüsterte er schließlich. »Ist es schon so weit? Wann wird sie beerdigt?«
»Am Donnerstag um elf.«
»Machen Sie einen Aushang«, nickte er. »Wer will, soll mitgehen. Nur für den Telefondienst muss gesorgt werden …«
Wieder war er mit seinen Gedanken weit weg. Mit der Skriptenmappe unter dem Arm fühlte sich Saale äußerst unwohl. Behutsam legte er sie auf der Kante des Schreibtischs ab.
Puth schrak auf und holte Luft: »Danke. Ich verspreche Ihnen, dass ich die Entwürfe gründlich studieren werde. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit. Sie hören dann von mir …«
Er drückte sich hoch und begleitete sie zur Tür. Seine Schritte, anfangs noch ungelenk, wurden mit jedem Meter sicherer. Er hatte noch Reserven.
»Kommen Sie morgen um elf mit der Post vorbei, Frau Kronenberger«, sagte er, als er sie mit Handschlag verabschiedete. Er lächelte plötzlich: »Ich werde das mit Herrn Gellermann regeln.«
»War das deine Beförderung?«, fragte Saale, als sich die Wagentüren hinter ihnen geschlossen hatten.
Helga zuckte die Achseln.
»Wer weiß? Wahrscheinlich nur vorläufig …«
Er wendete und steuerte zur Kanalbrücke zurück.
»Ganz schön alt, der Boss. Als du das mit der Beerdigung gesagt hattest, dachte ich schon, der kippt uns weg.«
»Ich auch. Hat mich sowieso gewundert, wie er reagiert hat. Wenn der Betriebsrat sonst mit Beurlaubungen kommt, stellt er sich an, als bräche über ihm der Himmel zusammen. Aber bei Ruth …«
Bis zur Zechenstraße grübelten sie vor sich hin. Der geschäftliche Teil der Fahrt war erledigt. Aber der Montag war noch lang.
Saale
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