Das Elbmonster (German Edition)
es denn stimmt, was er mir schrieb. Und siehe da, ich wurde schnell fündig! Seine Ausarbeitungen erschienen auch früher schon unter zwei Decknamen, die schöngeistige Literatur getrennt von ausschließlich sachbezogenen Schriften. Auch deren grandiose Wirkung fand ich offiziell bestätigt.
Nichts von alledem, was er mir sieggewohnt übermittelte, war geflunkert, glaubte ich zumindest, sondern absolut wahrheitsgetreu. Demzufolge musste ich auch mit ziemlicher Sicherheit damit rechnen, dass er binnen Kurzem vor unserer Tür stünde, um sich höchstpersönlich zurückzumelden.
Ja, was nun, alter Schwede? Für gewöhnlich freut man sich doch zuinnerst über eine solche Ankündigung. Doch ich wäre unaufrichtig, wenn ich meinen verehrten Lesern gegenüber verschweigen wollte, dass ich mir keinen passenden Reim auf die seltsamen Vorgänge machen konnte, und daher blickte ich auch höchst besorgt in die nahe Zukunft.
Mein überaus mulmiges Gefühl hatte mich leider nicht getäuscht, denn es kam weit schlimmer, als ich es befürchtete: Abel wird fortan ruhelos durch die Länder der Erde hetzen, fürwahr sehr ähnlich dem „Fliegenden Holländer“, jener Gestalt einer alten Seemannssage, welche auch als Titelfigur der gleichnamigen Oper von Richard Wagner fiebrig umherirrend über die Weltmeere fuhr.
Doch dazu äußere ich mich etwas später, denn es ist unerlässlich, unser bisheriges Wissen noch um wichtige Details zu erweitern, damit die wundersamen Geschehnisse leichter erfasst werden! Bis zu ihren allerletzten Verästelungen können wir sowieso nicht vordringen. Einiges davon beleibt uns wohl für immer im dunklen Hintergrund verborgen.
Wir haben längst bemerkt, dass Abels skurrile Übungen auf der erwähnten Brache für ihn mittlerweile Kultstatus erreicht haben, weil er sie unter allen Witterungsbedingungen und zu jeder Jahreszeit absolviert. Das erstaunliche Ergebnis kennen wir inzwischen.
Dabei hat er noch eine andere Leidenschaft, welcher er in seiner Freizeit ebenso gern und oft frönt. Auch sie ist nicht alltäglich.
Bereits von Kindesbeinen an empfindet er eine ganz besondere Freude, wenn es ihm gelingt, sein Erscheinungsbild nachhaltig zu verändern, am besten so stark, dass ihn hinterher möglichst niemand mehr erkennt.
Im Laufe der Jahrzehnte ist es ihm tatsächlich gelungen, seine entsprechenden Fähigkeiten derart zu vervollkommnen, dass man im buchstäblichen Sinne von einem überragenden Verwandlungskünstler sprechen kann, ähnlich einem brillanten Schauspieler. Entweder es sind extravagante Kleidungsstücke, mit denen er seine Mitmenschen überrascht, darunter auch Schuhe, die ihn plötzlich bis zu zwölf (!) Zentimeter größer machen, und Kopfbedeckungen, welche ziemlich fremd anmuten. Außerdem wechselt er des Öfteren seine Frisur, auch durch Perücken. Obendrein verblüfft er gelegentlich manche Leute, die meinen, mit seinen Eigenheiten vortrefflich vertraut zu sein, noch durch unerwartete Abwandlungen am Gesicht, zum Beispiel mal mit Schnauz- oder Wangenbart, dann wieder völlig glatt rasiert. Auch seine Stimme vermag er vielschichtig zu variieren. Er ist mühelos in der Lage, nach Belieben deutlich laut oder leise zu reden, ebenso hoch oder tief sowie langsam und schnell und natürlich in den verschiedensten Mundarten.
Um es kurz zu machen: Selbst ich habe mitunter meine liebe Not, ihn auf Anhieb zu erkennen, wenn ich ihm unverhofft begegne und er abermals seine optische respektive akustische Identität gewechselt hat.
Das ist fraglos ein auffallend eigenwilliges Hobby, dem er sich unglaublich passioniert widmet, insbesondere nach dem grausamen Tod seiner von ihm überaus geliebten Frau. Seither geistert auch immer wieder ein furchtbar schlimmes Erlebnis durch seinen Kopf, welches früher allenfalls zu bestimmten Anlässen in Form böser Spukgestalten auftrat und ihm freilich auch damals bereits arg zu schaffen machte, indem es wie eine schier unerträgliche Last auf sein Gemüt drückte und ebenso schwer sein Gewissen marterte.
Eine solche Bürde vermögen für gewöhnlich nur wenige Menschen über eine längere Zeitspanne hinweg auszuhalten. Auch Abel verschaffte sich persönliche Genugtuung, wenngleich durch eine äußerst fragwürdige Verfahrensweise.
Da sich jene extrem schauderhafte Tragödie (Ulrikes gewaltsamer Tod) wohl auch aus meinem Gedächtnis niemals streichen lässt, weil ich sie namentlich während der markerschütternden Schilderungen
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