Das Elbmonster (German Edition)
haben, entsprechende Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Geld und Moral sind zweierlei Kategorien, die sich meist gegenseitig ausschließen und daher nur äußerst selten eine liebevolle Partnerschaft eingehen.
Es reicht! Zurück nach Ungarn!
Jedenfalls fanden sich bald nach der grausamen Order zum sofortigen Verlassen heimatlichen Bodens knapp eintausendfünfhundert Bürger, die als „Nachzügler“ vom selben Unglück gezeichnet waren, wie es unzählige Menschen aus vielen Ländern bereits während der letzten Kriegsmonate und besonders in den beiden Jahren danach heimsuchte, mit ihren dürftigen Gepäckstücken auf dem Dombovárer Güterbahnhof ein. Dort nahmen wir gezwungenermaßen für den gemeinsamen Transport nach Deutschland in mehreren abgefuckten Viehwaggons unser Notquartier. Das konkrete Ziel kannte freilich niemand, auch die eigens dafür Verantwortlichen nicht.
Soweit ich mich erinnere, wurden vom bewaffneten Aufsichtspersonal durchschnittlich jeweils sechs Familien in einen „Wohn- und Schlafsalon“ gepfercht, nachdem von uns angeblichen „Vaterlandsverrätern mit Kollektivschuld“ unter strengster Weisung und Kontrolle der Aufpasser einige Ballen Stroh, mehrere große Milchkannen mit Trinkwasser und ein paar Eimer für die Notdurft hineingebracht wurden. Zuvor mussten wir die maroden Eisenbahnwagen von den Fäkalien der letzten Tiertransporte reinigen, die offensichtlich sowohl von Rindern als auch von Schweinen hinterlassen worden sind. Dann übergab man uns noch mehrere Laibe Brot als Zusatzverpflegung, denn etwas zum Speisen für unterwegs hatte ja jeder bei sich, allerdings nicht ahnend, dass die Fahrt beinahe sechs volle Tage dauern würde.
Die Waggons, welche auf jeder Seite zwei stark vergitterte Öffnungen für die lebensnotwendige Luftzirkulation hatten und trotzt unserer Säuberungsaktion immer noch furchtbar übel rochen, wurden von außen fest verriegelt.
Nachdem auch die Wachleute, ungefähr zwei Dutzend Männer, in einem normalen Wagen zur Personenbeförderung, der sich in der Mitte des Zuges befand, Platz genommen hatten, erfolgte das Signal zur Abfahrt. Sofort begann das kräftige Dampfross aus Vorkriegszeiten schrecklich laut zu wiehern, keuchen und schnauben, denn es hatte Schwerstarbeit zu leisten. Doch schon kurz darauf brachte es die Riesenraupe mit ihren sechsundvierzig prall gefüllten Gliedmaßen langsam in Bewegung.
Seltsamerweise hatte sich zuvor niemand gegen die brutale Abschiebung mit Nachdruck gewährt. Alle fügten sich nahezu widerstandslos ihrem ungewissen Schicksal. Endlich ging es für uns „heim ins Reich“, das ja inzwischen militärisch absolut bedingungslos unterworfen war. Dort gehörten wir schließlich hin, meinten siegessicher die neuen Machthaber. Kurzum, man behandelte uns wie verfluchte Aussätzige, die man schnellstens loswerden müsste, damit sie niemals wieder irgendwelche (politische) Epidemien heraufbeschwören könnten. In Wirklichkeit führte unsere Odyssee zunächst quer durch Osteuropa.
Wie viel Frustration, garstige Intoleranz und unbändiger Hass müssen sich damals in den Köpfen und Herzen der Menschen angesammelt haben! Dennoch sind wir nachdrücklich gehalten, insbesondere mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg stets konsequent zwischen seinen maßgeblichen Ursachen und den daraus resultierenden Wirkungen beziehungsweise späteren Folgen zu unterscheiden. Das wird indessen oftmals nicht ausreichend berücksichtigt und mitunter sogar hinterhältig entstellt, denn es ist augenfällig, dass zum Beispiel nach wie vor infame Geschichtsklitterer fleißig am Werk sind, um ihren egoistischen Bestrebungen zu dienen. Die offenbar absichtliche Verblödung gewisser Kreise fördert das allemal. Wie sonst wäre die besorgniserregende Häufung von bundesweiten neonazistischen Zusammenrottungen zu erklären?
Hinzu kommt natürlich die Arbeitslosigkeit oder nur geringe Beschäftigung vieler Menschen, welche das eigentliche Übel ausmacht, in dem braunes Gedankengut und überhaupt die Radikalisierung bestimmter Kräfte üppige Wurzeln schlagen.
Ja, ich gebe zu, dass wir bisweilen lediglich arg darüber staunen, wie viel Dummheit und Niedertracht mitunter in einem einzigen Schädel zeitgleich Platz finden.
Doch halt! Ich korrigiere meine soeben getroffene Aussage insofern, als es mich drängt, unverzüglich einen weiteren Gedanken hinzuzufügen, denn ganz so einfach ist das Problem wiederum auch nicht. Mir sind nämlich mehrere
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