Das Elbmonster (German Edition)
Würdenträgers, wenn auch ohne Trauschein, so doch unter der schützenden Obhut freiwillig entgegenkommender Verschwiegenheit seitens der gesamten Dorfgemeinschaft. Demzufolge erblickte auch ihr gemeinsamer Filius quasi schon mit einem Silberlöffel im Mund das Licht der Welt. Da er außerdem bis zur Ankunft seines Bruders fast sechs Jahre lang Einzelkind war (Peter erblickte im Oktober 1946 das Licht der Welt), standen ihm buchstäblich alle Türen offen, die man sich nur wünschen kann, damit möglichst sämtliche Träume in Erfüllung gehen. Oder vielleicht doch nicht? In Bälde erfahren wir mehr!
Nach seiner Geburt blieb die stolze Mutter für zwölf Monate zu Hause, um sich ausschließlich ihrem Nachwuchs zu widmen. Sodann unterrichtete sie über mehrere Jahre hinweg die Schüler in ihrem Heimatort Mágocs, ehemals Komitat Barayna, bevor sie die unversehens verwaiste Stelle an der Minischule in unserer Siedlung Kispuszta übernahm.
Damals ging das makabre Gerücht um, dass ihr Vorgänger, der seit eh und je alleinstehende Pauker, während eines üblichen Ausritts mit seinem fürchterlich abgemagerten Klepper sich in einen tiefen Morast verirrte, der sowohl Pferd wie Reiter gierig verschlang. Seither wurden beide niemals mehr gesehen, auch keinerlei sterbliche Überreste von ihnen. Damit war es zugleich mit den teils höchst seltsamen Gepflogenheiten des „Habichts“ vorbei, wie ihn unsere Dörfler manchmal auch nannten, wahrscheinlich deshalb, weil er sich bisweilen urplötzlich wie ein Greifvogel auf Jungen stürzte, die sich offenbar nicht seinen Wünschen gemäß verhielten. Die Mädchen hingegen waren anscheinend immer brav und folgsam. Ach, die lieben weiblichen Krabben!
Ergo erschien für alle völlig überraschend eine ausnehmend schöne junge Frau auf unserer Bildfläche. Sie bezog erwartungsgemäß die erwähnte Mansardenwohnung, nutzte diese jedoch relativ selten, weil sie beinahe täglich heimfuhr, um bei ihrer Familie zu sein, sofern sie nicht durch irgendwelche zusätzliche Pflichten oder schlechte Witterungsbedingungen und anderweitige Gründe daran gehindert wurde.
Falls sich während ihrer berufsbedingten Abwesenheit auch der über alle Maßen fürsorgliche Papa wegen seiner dienstlichen Obliegenheiten nicht persönlich um die Sprösslinge kümmern konnte, bemühten sich die Großeltern mit Freuden und einer fast grenzenlosen Hingabe um die von allen angebeteten Stammhalter mütterlicherseits. Man hätte die beiden Jungen unter keinen Umständen auch nur im Geringsten vernachlässigt.
Die jeweils sechs Kilometer lange Wegstrecke vom Wohn- zum Arbeitsort und wieder zurück bewältigte unsere königlich verehrte Lehrerin überwiegend mit einem Fahrrad. Das war für uns Hinterwäldler damals ein geradezu sensationelles Stahlross, welches insbesondere wir Schüler anfänglich nicht genug bewundern konnten. Und natürlich war es unser sehnlichster Wunsch, irgendwann selbst eines zu besitzen. Manchmal träumten wir sogar davon. Bei mir erfüllte sich jene kindliche Hoffnung erstmals mit siebzehn Jahren hier im herrlichen Sachsenland, nachdem ich meine Lehrzeit erfolgreich abgeschlossen hatte und als jugendlich gekürter Elektromonteur ausreichend Geld verdiente, um es mir leisten zu können, worüber ich selbstredend sehr glücklich war.
Unsere zauberhafte Madonna kam indessen hin und wieder auch mit einer einspännigen Pferdekutsche vorgefahren. Es handelte sich um ein derart prachtvolles Exemplar, dass wir es gleichermaßen oft und gern mit sichtlichem Staunen in Augenschein nahmen. Überhaupt sorgte die holde Schönheit fortwährend für tolle Überraschungen, die wiederum unserer ohnehin regen Fantasie ständig neuen Nährstoff boten.
Doch sämtliche Faszinationen, wie einzigartig sie auch gewesen sein mögen, die von ihr ausgingen und uns allesamt unweigerlich in ihren Bann zogen, fanden Anfang Mai 1948 schlagartig ein verdammt bitteres Ende. Wir erhielten nämlich überraschend die Schreckensnachricht, dass sie und ihre Familienangehörigen schleunigst ausgebürgert würden, da sie noch kurzerhand als mögliche Kollaborateure der ehedem verbündeten Deutschen eingestuft wurden, zu deren nationalen Minderheit sie im Lande der Magyaren gehörten.
Letzteres war uns bis dato vollkommen unbekannt. Nicht einmal die leiseste Ahnung hatten wir davon. Umso sprachloser nahmen wir die entsetzliche Mitteilung auf, zumal wir schon glaubten, die gewaltsame Aussiedlung von „unerwünschten
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