Das Elbmonster (German Edition)
großen Packung herrlicher Pralinen überraschen. Außerdem sollten unsere taufrischen Facharbeiterzeugnisse und natürlich auch die glänzenden Stahlrosse geschickt präsentiert werden. Ergo machten wir uns gegen siebzehn Uhr hoffnungsfroh auf den Weg und waren auch bald am Ziel unseres Vorhabens.
Doch kaum angekommen und bevor wir überhaupt unsere Eltern begrüßen konnten, trafen wir unten auf dem Hof einen Mann, den wir in denkbar schlechter Erinnerung hatten. Er war gerade dabei, flüssige Rinderfäkalien in ein massiges Güllenfass zu füllen, das auf einem Pferdewagen lag. Dazu benutzte er ein Schöpfgefäß aus Zinkblech mit einem sehr langen Stiel, was auf ein recht tiefes Sammelbecken schließen lies, welches sich unweit der Stallungen direkt neben einem riesigen Misthaufen befand. Viel konnte der geräumigen Grube bis dato nicht entnommen sein, denn sie war noch fast bis zum Rande gefüllt. Die Jauche sollte vermutlich erst am nächsten Tag auf ein abgeerntetes Getreidefeld gefahren werden, um es zu düngen.
Als uns der diensteifrig Beschäftigte erblickte, muss er uns wohl sofort erkannt haben, denn für den ersten Moment erstarrte er beinahe zur Salzsäule. Offenbar fuhr ihm ein ziemlich arger Schrecken in die Glieder. Doch ebenso schnell überwand er sein Entsetzen, das ihn kurzzeitig zu lähmen schien, und er machte sich wieder regsam an die Arbeit, ohne uns weiter zu beachten. Sein erneut beflissenes Verhalten sollte bei uns sicherlich den Eindruck erwecken, dass wir ihm völlig unbekannt wären. In Wirklichkeit wusste er ganz bestimmt, wer da total unerwartet auftauchte und was er uns beiden einst angetan hatte, obwohl inzwischen gut sechs Jahre verflossen waren.
Damals, gegen Ende Juni 1948, reiften die ersten Kirschen, deren Lockruf wir Kinder nicht lange widerstehen konnten, schon allein deshalb nicht, weil uns der Hunger trieb. Die vielen Bäume, welche meist Straßen und Wege des Dorfes säumten, gehörten ausgerechnet jenem Bauern, bei dem wir wohnten. Der wiederum hatte einen bestialisch scharfen Wachhund in Menschengestalt, dessen Zuverlässigkeit Abel und ich schon bald am eigenen Leibe erfahren sollten, und zwar in einem Maße, dass wir den grauenhaften Vorfall gewiss zeitlebens nicht vergessen werden.
Nachdem der hörige Lakai uns gleich beim Mausen der herrlichen Früchte erwischt hatte, und wir wollten tatsächlich nur unseren Appetit stillen, gab es Schläge von ungeheurer Brutalität. Doch zuvor prasselten furchtbar böse Sätze auf uns herab. Sie gellen mir immer noch in den Ohren. Jedes einzelne Wort des tierischen Aufpassers hat sich in meinen Hirnzellen unauslöschlich festgesetzt. Als wir ihm direkt gegenüberstanden und vor lauter Angst regelrecht blockiert waren, sagte das Scheusal dröhnend und bissig: „Na, ihr ungarisches Zigeunerpack, habe ich euch beim Klauen erwischt! Ich werde euch jetzt beibringen, wie man bei uns in Deutschland mit solch einem Geschmeiß umgeht, denn ihr seid doch nur lästiges Ungeziefer!“ Der Bluthund holte danach nicht einmal mehr Luft, und schon verpasste er mir eine derart kräftige Ohrfeige, dass ich prompt im hohen Bogen und der Länge lang auf einen Steinhaufen flog, der zufällig in der Nähe war. Dort blieb ich erstarrt liegen. Dann packte er Abel und schlug mit einem seiner Holzpantoffeln solange hemmungslos auf ihn ein, bis der Junge sich vor Schmerzen krümmte, kaum noch atmen konnte und fast schon in Ohnmacht versank. Vielleicht befiel urplötzlich ein Funken Menschlichkeit den verrohten Unhold, denn er ging nach seiner unerhörten Schandtat nicht einfach weg, sondern beobachtete uns aufmerksam. Dabei ist ihm sicherlich nicht entgangen, dass ich mehrere Abschürfungen an beiden Armen und Beinen, insbesondere jedoch an den Händen hatte und überall blutete, auch aus dem Mund. Meine linke Wange war arg geschwollen. Zudem wackelten einige Backenzähne. Doch Abel erwischte es noch weit schlimmer. Den hat die skrupellose Bestie fast zu Tode geprügelt. Er lag vollkommen reglos auf dem Straßenschotter, mit dem Gesicht zur Erde.
Nach einer Weile wurde die makabre Situation dem rabiaten Barbaren anscheinend doch zu mulmig. Er kam langsam zu mir, tastete mit prüfenden Blicken meinen gesamten Körper ab und half mir schließlich beim Aufstehen. Meiner gallenbitteren Tränen konnte ich mich indessen nicht mehr erwehren. Sie flossen unaufhaltsam. Anders hingegen bei meinem brüderlichen Freund. Nachdem der verrohte Schläger ihn
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