Das Elbmonster (German Edition)
hinaussah, erblickte ich voller Erstaunen, wie mehrere Ratten auf einer Freileitung hin und her liefen. Sie tänzelten auf dem Spanndraht wie geschickt abgerichtete Zirkustiere. Das faszinierte mich ungemein. So vergingen vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten, bis ich wieder in die Wohnküche meiner Eltern zurückkehrte, wo inzwischen eine recht eigenartige Stimmung herrschte, denn mir fiel auf, dass namentlich Abel sich ungewohnt benahm.
Er konnte mir gegenüber nicht ganz verbergen, dass er seelisch merklich aufgewühlt war und zugleich über irgendetwas auffallend besorgt erschien. Doch ich hakte nicht weiter nach und versuchte, neuen Gesprächsstoff einzubringen, um die unerquickliche Situation zu überbrücken, weil ich den Eindruck hatte, dass man nicht brühwarm näher darauf eingehen wolle. Kaum unterhielten wir uns abermals sehr angeregt, als wir von draußen weithin hörbare Stimmen und sogar verzweifelte Schreie vernahmen. Was war geschehen?
Wir entdeckten eine kleine Gruppe von äußerst entsetzten Menschen, die mühsam versuchten, einen toten Mann aus der Jauchengrube zu bergen. Alle waren davon überzeugt, dass er versehentlich hineingefallen oder möglicherweise ein Opfer von giftigen Dämpfen wäre. Die Version hält sich bis heute. Sie ist ja auch zweifelsfrei einleuchtend.
Apropos: Jenen Unglücksort habe ich vor Kurzem eigens wegen dieser Erzählung nochmals besichtigt und dabei mit spürbarem Behagen festgestellt, dass an gleicher Stelle auf dem Hof statt des einstigen Misthaufens und des besagten Sammelbeckens für Gülle inzwischen verschiedene Pflanzungen üppig gedeihen. Es ist jetzt ein herrlicher Anblick, wenngleich für manche Zeitgenossen unauslöschlich mit einer grässlichen Tragödie verbunden.
Natürlich war ich damals nach dem schauderhaften Erlebnis ebenso maßlos erschüttert, wie die anderen, zumal ich eine derart schreckliche Bestrafung gewiss auch dem verhassten Bösewicht nicht zu wünschen vermochte. Abel hingegen hatte fortan ein abgründig düsteres Geheimnis, das er unglaublich anhaltend bewahren konnte. Spätestens seit der extrem fatalen Begebenheit war er sich hundertprozentig sicher, dass er über eine beispiellose Waffe verfügte, die ihm eines Tages selbst zum Verhängnis gereichen könnte, sofern er sie irgendwann zufällig oder gar bewusst einsetzte. Desto konsequenter bemühte er sich, sie niemandem (auch mir nicht!) preiszugeben und vor allem darum, sie unter keinen Umständen zu gebrauchen, selbst wenn es bisweilen noch so provokatorische Anlässe dafür geben würde.
Wie zweifelhaft es nun auch klingen mag, er schaffte es tatsächlich, seinen phänomenalen Vorsatz durch strengste Disziplin über fast ein halbes Jahrhundert hinweg einzuhalten. Allein das machte ihn im Laufe der Zeit stolz und nicht etwa der unklare Sachverhalt, eine dämonische Kraft in sich zu haben, deren Einmaligkeit unbestritten sein dürfte.
Diese mysteriöse Veranlagung fürchtete er noch mehr als der Teufel das Weihwasser. Fortwährend saß ihm die Angst buchstäblich im Nacken, er könne sich bereits durch eine kleine Unachtsamkeit jählings verraten.
Aber die Schicksalsgöttin meinte es offenbar erstaunlich lange gut mit ihm, bis sie schließlich doch wieder vollkommen überraschend und mitleidlos hart zuschlug.
Unserem dubiosen Freund Abel war jedenfalls die besagte Vorsehung insbesondere hinsichtlich seiner angehenden familiären Situation rund fünfzig Jahre lang ausgesprochen hold gesinnt. Seine diesbezügliche Vorsehung stand von Beginn an unter einem guten Stern. Das vermag ich mit Fug und Recht zu behaupten, weil die erste Begegnung mit einem Paar edelster Sachsenperlen für ihn und mich zeitgleich stattfand. Welch ein beglückender Zufall!
Noch heute macht es mich feuertrunken, sobald ich mir jenes Geschehen in Erinnerung rufe, ein Bild voller Harmonie und Liebreiz. Es bringt meine Sinne nach wie vor zum Brodeln und versetzt mich regelrecht in Euphorie, da es sich wie folgt zutrug:
Wie so oft holten Abel und ich an einem wunderschönen Sonntagnachmittag mit heiterem Gemüt unsere Stahlrosse aus dem Keller, um gemeinsam eine Tour zu unternehmen. Wir wollten einfach durch die Landschaft radeln und dabei den Zauber der Natur auf uns wirken lassen, denn wir empfanden stets große Freude beim Anblick von Wald und Flur, genossen die Weite der Felder ebenso wie den Geruch von Erde und nicht zuletzt das herrliche Konzert der Vögel sowie das blaue oder mitunter
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