Das Elbmonster (German Edition)
beabsichtigen nicht stets das Beste für ihren Nachwuchs?
Immerhin machten wir uns mit vierzehn Lenzen gemeinsam auf die Suche nach geeigneten Lehrstellen in Meißen und fanden auch bald welche. Dabei hatte Abel insofern etwas Glück, als ihn das Elektrohaus Weder sofort aufnahm, um ihn als Monteur auszubilden. Ich erhielt die Chance, mich im hiesigen Eltwerk zum Betriebsschlosser zu qualifizieren, was durchaus meinen Neigungen entsprach. Gleichwohl war es damit nach gut drei Monaten schon wieder vorbei, weil die russische Kommandantur in die gegenüberliegende Villa auf der Brauhausstraße einzog und vermutlich kaum daran interessiert sein konnte, dass vis-à-vis täglich ein buntes Sammelsurium von jungen Leuten zu verzeichnen war. Vielleicht gab es auch andere Gründe für die plötzliche Schließung der Lehrwerkstatt.
Demnach war ich kurz vor Weihnachten 1951 auf der Straße und musste mich erneut zielstrebig umsehen. Da bot sich beim Elektromeister Winterlich eine Möglichkeit, mich als Stift einzufügen. Wir hatten vereinbart, dass ich gleich Anfang Januar bei ihm antrete. Indessen waren ihm anscheinend die christlichen Feiertage nicht allzu bekömmlich, denn er brachte seine Frau um, die er anschließend im Keller verscharrte, worauf er dann noch Kohlen schüttete. Aber seine grausige Freveltat kam beizeiten ans Tageslicht, und somit war ihm ein „Lebenslänglich!“ sicher.
Als mich die entsetzliche Kunde erreichte, war ich nicht nur maßlos schockiert, sondern vor allem heilfroh darüber, dass ich mich nicht schon etwas früher bei ihm verdingte, sonst hätte ich eventuell noch das Loch zum Verschwinden der Toten in der provisorischen Katakombe graben müssen.
Übrigens stürzte zur gleichen Zeit eine Schmalspurbahn mit Güterwagen von der Garsebacher Brücke in den Abgrund. Das entsprechende Malheur war enorm. Zudem erwies sich der tragische Vorfall für uns deshalb als eine besonders schauderhafte Hiobsbotschaft, weil Abel und ich oftmals den Personenzug auf derselben Strecke benutzten, um unsere Eltern und Geschwister zu besuchen, da wir nicht mehr bei ihnen wohnten. Wir hatten uns inzwischen, wie bereits erwähnt, ein möbliertes Zimmer in Meißen gemietet, wofür wir zusammen zwanzig Mark pro Monat zahlten. Die übrigen jeweils vierzig Kröten vom Lehrlingsgeld mussten für den sonstigen Lebensunterhalt reichen. Durch vielerlei Nebenbeschäftigungen verdienten wir uns allerdings noch etwas hinzu, und so kamen wir gut zurecht, zumal wir in materieller Hinsicht ziemlich anspruchslos waren.
Infolge jener wundersamen Ereignisse erbarmte sich offensichtlich der sehr fürsorgliche Karl Weder meiner und nahm mich fortan unter seine Fittiche, wodurch ich nach knapp dreijähriger Ausbildung ebenfalls Elektromonteur wurde.
Es wird sicherlich niemand erstaunt sein, wenn ich jetzt vorbehaltlos einräume, dass Abels Noten zum wiederholten Male eindeutig besser waren als meine. Dessen ungeachtet freuten wir uns beide in tiefster Seele über die Erfolge und wähnten uns seither als wirklich souverän zu den Erwachsenen gehörig. Darauf waren wir sehr stolz (vielleicht nicht zuletzt auch deshalb, weil wir wussten, den ältesten Beruf der Menschheit erlernt zu haben, denn als Gott sprach: „Es werde Licht!“, hatten die Elektriker bereits die Leitungen verlegt).
9
Ein höchst mysteriöses Erlebnis überraschte mich an einem merkwürdigen Wochentag im August 1954. Der Himmel zeigte sich leicht bewölkt, die Luft windstill, feuchtwarm und stickig. Mithin nicht gerade ein Wetter für überschwängliche Lobgesänge. Trotzdem hatten Abel und ich uns fest vorgenommen, mit den stolz erworbenen Fahrrädern nach Kaisitz zu radeln, wohin unsere Eltern inzwischen gezogen waren. Ihr neues Domizil befand sich im ersten Stock vom rechten Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Vierseitengutes der Familie Seifert, etwa zehn Kilometer von der Meißner Stadtgrenze entfernt. Wir wollten unsere Lieben gleich mehrfach erfreuen, da wir meinten, es wäre die ideale Gelegenheit, uns ihnen gegenüber dankbar zu erweisen. So kauften wir dem Vater eine Mundharmonika, zumal wir wussten, dass er mit Vergnügen darauf spielte und sein altes Instrument sichtlich abgenutzt war. Dazu besorgten wir noch eine Flasche Rotwein, den er gerne trank, sich aber nur äußerst selten leisten konnte. Unsere fürsorgliche Mutter wiederum wollten wir mit einer elektrischen Backform sowie einem schönen Blumenstrauß und einer
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