Das Elbmonster (German Edition)
mühsam auf die Beine brachte und Abel sich einigermaßen senkrecht halten konnte, blickten sich beide gegenseitig streng in die Augen.
Was ich danach vernahm, dürfte wohl den meisten als absolut unglaubhaft erscheinen oder zumindest stark übertrieben vorkommen. Doch ich verkünde, was ich selbst gesehen beziehungsweise gehört habe und nichts als die reine Wahrheit, wenngleich ich mir darüber im Klaren bin, dass uns die Sinne manchmal trügen können!
Wie damals nach dem furchtbaren Massaker in Pirna sandte der grässlich misshandelte Junge wieder ein unerklärliches Bündel von Lichtstrahlen aus, womit er den perfiden Kojoten offenbar stark schockierte, denn dieser hatte Mühe, sich von den strafenden Pupillen des gedemütigten Knaben loszureißen, obwohl er um gut anderthalb Kopflängen größer war. Bevor der widerwärtige Verbrecher das Weite suchen konnte, musste er noch Abels drohende Prophezeiung über sich ergehen lassen. Sie lautete: „Das zahle ich dir heim, du Schuft! Verlass dich darauf! Ich kriege dich, selbst wenn Jahrzehnte vergehen! Dann aber gnade dir Gott!“
Mein edler Freund konnte vor Schmerzen kaum aufrecht stehen und sprach dennoch erhobenen Hauptes solche Worte! Das machte mich fassungslos, ob der eigenen hasenherzigen Kleinmütigkeit sogar beschämt, aber zugleich ungemein stolz darauf, einen derart mutigen Kameraden an meiner Seite zu haben.
Unsere körperlichen Blessuren heilten im Laufe der nächsten Wochen, auch wenn das etwa dreißigjährige Monster besonders Abel grün und blau geschlagen hatte. Die tieferen Wunden, welche damals unseren Seelen zugefügt worden sind, konnten dagegen bislang nicht vernarben, nicht bei mir und noch weniger bei meinem Weggefährten. Man bedenke: wegen ein paar Kirschen, quasi purer Mundraub! Allein von den saftigen Früchten konnte der Großbauer Hagedorn tonnenweise ernten lassen (zu Beginn der fünfziger Jahre setzte er sich übrigens nach Westdeutschland ab).
Sein erbarmungsloser Wächter ward von uns seit dem frevelhaften Vorfall auch nicht mehr gesehen. Später hieß es, der mordgierige Bluthund hätte sich während der Naziherrschaft als Aufseher im Konzentrationslager Buchenwald besonders verdient gemacht. Darüber waren wir natürlich keineswegs verwundert, erst recht nicht, nachdem wir uns einige Jahre danach von den unfassbaren Gräueltaten jener Bestien persönlich überzeugt hatten und direkt vor Ort sahen, was sie unter „Arbeit macht frei!“ verstanden (der Spruch befindet sich im eisernen Eingangstor).
Uns lief die Gänsehaut über den Rücken, und auch der leisen Tränen vermochten wir uns kaum zu erwehren. Nicht zuletzt zeugt selbst die geografische Lage der Vernichtungsstätte von einer totalen Verrohung der Sitten einschlägiger Machthaber. Sie liegt kennzeichnend in unmittelbarer Nähe der Klassikerstadt Weimar, einer Hochburg des deutschen Humanismus.
Wozu Menschen fähig sind, sobald sie blindlings oder fanatisiert verbrecherischen Ideologien folgen, übersteigt oftmals unser normales Vorstellungsvermögen. Umso befremdlicher ist die sehr besorgniserregende Tatsache, dass die heutigen Jünger des einstigen Wahnsinns sich zunehmend öffentlich etablieren und sogar bis in die Parlamente vordringen. Was tun wir dagegen?
Doch richten wir unsere Aufmerksamkeit nun wieder gezielt auf den erwähnten Vierseitenhof in Kaisitz, um zu erfahren, welch eine makabre Szene sich dort abspielte!
Es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass der Jauchenschöpfer uns beide sofort erkannte, obwohl wir inzwischen zu kräftigen Burschen herangewachsen waren, denn wir befanden uns lediglich noch drei Monate vor unserem achtzehnten Geburtstag. Vielleicht war gerade unsere stattliche Erscheinung sein Problem.
Auch für uns stand augenblicklich fest, um welche Person es sich bei ihm handelte. Dessen ungeachtet zeigten wir ihm gegenüber nur eine verächtliche Mine und liefen wortlos an ihm vorbei, um möglichst schnell zu unseren Eltern zu gelangen. Diese waren überglücklich, als sie uns beide erblickten. Auch die sonstigen Überraschungen verliefen geradezu perfekt. Wir hatten uns also nicht getäuscht und konnten ihnen eine außerordentlich große Freude bereiten, was auch uns sehr zu Herzen ging.
Wir unterhielten uns ziemlich lebhaft über mancherlei Themen, doch über den Mann da unten sprachen wir nicht. Nach etwa einer halben Stunde musste ich zur Toilette. Sie befand sich am Ende eines langen Ganges. Als ich dort zum Fenster
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