Das Elbmonster (German Edition)
Volksmund allseits vertraut „Hambi“ genannt, fristen ein elendes Dasein und verkommen augenscheinlich zu hässlichen Ruinen. Auch sind mittlerweile viele Häuser menschenleer. Sie verwildern zusehends.
Trotz allem ist die überwiegende Mehrheit der noch knapp achtundzwanzigtausend zählenden Einwohner Meißens gewiss weit mehr mit ihrer liebenswerten Stadt verbunden als manche es zuweilen im Alltagsgeschehen wahrhaben wollen. Und die meisten hoffen auf eine noch bessere Zukunft, auch wenn die Zahl derer, die hier leben, seit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten drastisch gesunken ist, nämlich inzwischen um gut zwanzig Prozent. Dies wiederum betrifft vornehmlich die Jugend, was indessen kaum jemanden verwundern dürfte.
Zur Freude der Männer verkörpert bei uns wenigstens das schöne Geschlecht derzeit noch das Gros, wobei niemand genau vorhersagen kann, wie sich der Trend künftig gestalten wird. Aber das gleiche Problem bewegt die Menschen in Deutschland ja nahezu allerorts so oder ähnlich.
Ohnehin ist seit einiger Zeit das heimische Wohlbefinden der Meißner vollkommen aus den Fugen geraten. Angst und Schrecken halten die Leute gefesselt. Und es vergeht kein Tag mehr, an dem nicht voller Entsetzen und tiefer Sorge über die unerklärbaren Geschehnisse gesprochen wird. Freilich gibt es inzwischen allerlei Mutmaßungen über die geheimnisvollen Vorfälle. Doch sie alle waren und sind flüchtig. Das Mysterium hingegen bleibt. Dazu türmen sich unterdessen viele bange Fragen, die bisher allenfalls eine Person überzeugend beantworten könnte, was sie jedoch auf voraussehbare Zeit garantiert nicht tun wird. Dafür hätte sie genügend triftige Gründe, sofern man überhaupt davon ausgehen darf, dass irgendjemand ein rätselhaft böses Spiel treibt, denn es bleibt vorerst im hohen Maße unwahrscheinlich.
Desto häufiger ergreifen Furcht, Verwirrung und Ratlosigkeit die fast ohnmächtig dreinblickenden Menschen. Schon längst trauen sich Frauen und Kinder spätestens nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein auf die Straße. Dies wiederum ist eine wohl verständliche, aber dennoch seltsame Reaktion, da bisher keine einzige Frau von den verhängnisvollen Ereignissen unmittelbar betroffen war. Kinder ebenso wenig. Es sind ausschließlich Männer. Sie indessen von sehr unterschiedlicher sozialer und altersmäßiger Zuordnung. Und es geschah ausnahmslos bei Tageslicht sowie auf öffentlichen Plätzen.
Auf bisher unerklärliche Weise haben sich während der letzten Monate mehrere Todesfälle ereignet, die scheinbar sämtlich wie Selbstmord oder Unfälle aussahen, ihrem Wesen nach jedoch keine sein konnten. Hierüber einigten sich die Fachleute allerdings erst nach einigen Irritationen, weil zunächst alles darauf hindeutete, dass es reine Suizide wären.
Mittlerweile herrscht zwischen ihnen auch eine absolute Übereinstimmung bezüglich des folgenden Sachverhaltes: Die Opfer sind nicht erschossen worden, weder erwürgt noch vergiftet, keinesfalls erhängt oder enthauptet. Jede der üblichen Tötungsarten ist mit größter Sicherheit auszuschließen, da es keinerlei Hinweise auf irgendwelche Fremdeinwirkungen gibt. Dies bestätigen einhellig sämtliche Autopsieberichte, welche zwar in einigen Fällen beinahe verblüffend schnell und dennoch ausnahmslos höchst gewissenhaft angefertigt worden sind. Sogar die Exhumierung und nachträgliche Obduktion der ersten Leichen aus der mysteriösen Serie durch die zuständigen Anatomen erbrachte kein anderes Ergebnis. Ein vielleicht plötzlich auftretendes, noch unbekanntes Virus oder ein ähnliches Naturphänomen kommt ebenso wenig infrage.
Der mörderische, bislang völlig namenlose Akteur, sofern es denn einer wäre, erweist sich auch deshalb als schier unfassbar, weil er seine Opfer nicht einmal direkt berührt hat. Auch das steht derweil nahezu hundertprozentig fest.
Man kennt also die tragischen Ergebnisse, jedoch weder deren Ursache noch den genauen Verlauf der schrecklichen Vorfälle. Selbst wenn es ein Monster in Menschengestalt sein sollte, wären die fähigsten Kriminalpsychologen außerstande, ein entsprechendes Persönlichkeitsprofil zu erstellen, weil noch beinahe alles im Dunkeln schwebt.
Zudem erscheint hier auch das traditionelle Bild vom Serientäter gestört, denn sofern es sich dabei um einen Mann handelte, was ja in analogen Fällen fast immer zutrifft, hätte er vornehmlich die Sphäre des „schwachen Geschlechts“ im
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