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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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verlieren bekannte, oftmals gehörte Werke nicht ihre Wirkung. Sie wirken sogar starker! Bei Gemälden ist es nicht so. Wir nehmen am Entstehungsprozeß von Farben und Schattierungen nicht teil. Wir betrachten jedesmal ein Ergebnis… Ich habe einfach angenommen, daß die emotionale Wirkung von Licht und Farbe weitaus stärker sein kann als die Wirkung von Musik. Und ich habe mich nicht geirrt«, endete Arsik bedrückt.
     »Weiter!« forderte ich ihn auf. »Mir ist das Ziel unklar.«
     »In allem suchst du ein Ziel«, sagte Arsik zornig. »Wissenschaft und Kunst haben dasselbe Ziel – den Menschen glücklich zu machen.«
     »Aber sie tun das auf unterschiedliche Weise.«
     »Das ist eben das Übel. Es ist beklagenswert, daß wir nicht danach streben, direkt auf den Menschen einzuwirken. Wir sorgen uns nur um materielle Dinge. Größer, schneller, lauter, weiter, effektiver, schmackhafter, reicher, noch reicher, noch satter, alles muß im Überfluß vorhanden sein! Damit beschäftigen wir uns! Warum nicht gütiger, ehrlicher, freundlicher, froher, gewissenhafter? Erkläre mir das!«
     Ich konnte es ihm nicht erklären. Mir schien das ohnehin klar zu sein, Arsik war es unklar. Darin unterschied er sich von anderen. Ich sagte, daß der Fortschritt von Wissenschaft und Technik im Endeffekt den Menschen glücklicher und besser mache. Arsik lachte nur.
     »Das ist es nicht!« sagte er. »Wir haben eben eine glückliche Zwiebel gegessen. Sie ist nicht so gewachsen, weil sie mehr Licht und Wärme hatte. Sie konnte freier und froher wachsen.«
     »Weil sie mehr Licht, Wärme und Dünger hatte«, erwiderte ich.
     »Du hast nichts begriffen. Weil sie so wachsen wollte und das Licht bekam, das sie brauchte. Und Ignati Semjonowitsch hat gestern das Licht bekommen, das er brauchte. Für seine Seele.«
     Dann erläuterte Arsik kurz die technische Seite seiner Entdeckung. Ich merkte, daß ihn das wenig interessierte. Filter, Lichtleiter, Rückkopplung durch Bioströme und ähnliches. Er verstand vieles selber nicht. »Das quält mich«, sagte Arsik. »Licht kann Liebe erwecken, Gefühle bloßlegen, das Gewissen befreien, den Menschen ehrlicher machen. Aber werde ich davon glücklicher? Ich habe das nicht bemerkt. Vielmehr ist das Leben weitaus schwieriger geworden…«
     »Du möchtest rundum zufrieden sein?« fragte meine Frau. »Dann sieh dir deine Bilder nicht an, höre keine Musik, liebe nicht, denke nicht! Iß und schlaf!«
     »Richtig!« stimmte ihr Arsik bei. »Man muß klären, was Glück ist!«
     »Wirkt dein Licht lange?« fragte ich.
     »Das hängt von jedem einzelnen ab… Aber interessant ist, daß einen immer wieder danach verlangt. Eine ansteckende Sache!«
     Bald darauf ging er. Auf dem Tisch lag die angeschnittene Riesenzwiebel. Ich betrachtete sie und dachte nach. Es war schwierig, alte Folgen von Arsiks Experiment vorauszusehen. Wenn nun dieses Licht nicht nur die Seele des Menschen beeinflußt, sondern auch materiellere Dinge? Die Physis zum Beispiel! Das Wachstum des Organismus? – Ich dachte an die Akzeleration, an fünfzehnjährige Schulkinder, die fast alle größer sind als ich, selbst die Mädchen. Liegt vielleicht die Ursache der Akzeleration darin, daß die Kinder heute freier und ehrlicher die Welt betrachten, als wir es getan haben?
     Ich stellte mir unsere Erde vor, bevölkert mit guten und klugen Riesen, die sich in unseren kleinen Häuschen, engen Wohnungen, winzigen Autobussen nicht rühren könnten. In jedem Kindergarten, in jeder Schule werden Arsiks Geräte stehen. »Und jetzt, Kinder, haben wir Gewissenskunde…« Alle sehen in die Okulare, das Licht flimmert in allen Farben des Regenbogens.
     Und über uns wird man sagen: Früher lebten auf der Erde kleine Menschen, die nicht verstanden, glücklich zu sein.
     Ich beschloß, an dem Experiment teilzunehmen: Dauer der Sitzungen, psychologische Tests, Kontrollexperimente. Für den Anfang verfaßte ich eine Art Schulaufsatz. Ich las den »Hamlet« durch und schrieb nach bestem Wissen und Gewissen auf einem Bogen Papier meine Gedanken darüber nieder. Ich beurteilte das Verhalten aller Helden, äußerte meine Unzufriedenheit über den Dänenprinzen wegen seiner Inkonsequenz und seiner vielen Reflexionen – und steckte den Aufsatz in einen Umschlag. Darauf schrieb ich meinen Namen und das Datum. Nachdem ich mehrere Bestrahlungen hinter mir hatte, wollte ich über dasselbe Thema noch einmal schreiben. Wie würde sich meine Bewertung

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