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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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zerbrechen.
     Als ich die Zigarette aufgeraucht hatte, spürte ich, daß ich unbedingt in Arsiks Anlage sehen mußte. Es ist wahr, man wird süchtig! dachte ich ärgerlich, trotzdem ging ich zurück ins Institut. Die Pförtnerin sah mich erstaunt an, ich murmelte etwas von einem vergessenen Manuskript und begab mich ins Labor.
     Die schwarzen Rollos, die wir manchmal bei optischen Versuchen brauchten, waren heruntergezogen. Im Labor war es dunkel. Nur von Arsiks Anlage kam ein Lichtschimmer. Es leuchtete das dicke Seil der Lichtleiter, und durch die Filter drangen verschiedenfarbige Feuer. Das Spektrum reichte von Rosa bis Purpur. In diesem beängstigend roten Schein erblickte ich Ignati Semjonowitsch, der reglos dasaß und in die Okulare starrte.
     Ich setzte mich neben ihn. Ignati Semjonowitsch hatte mein Kommen nicht bemerkt. Selbst ein Kanonenschlag hätte ihn nicht aufgeschreckt. Ich wartete fast eine halbe Stunde. Den Alten von der Anlage wegreißen wollte ich nicht. Es war etwas Seltsames in meinem schweigenden Warten bei dem roten Schimmer. Wie in einer Dunkelkammer, man wartet auf das Erscheinen eines Bildes in der Entwicklerschale, bis es sich in blassen grauen Konturen auf dem Fotopapier abzeichnet.
     »Nein, nein!« flüsterte auf einmal Ignati Semjonowitsch und zog den linken Arm von der Anlage weg. Die Folienmanschette glitt vom Handgelenk. Der Alte lehnte sich zurück, die Augen geschlossen und schwer atmend.
     »Ignati Semjonowitsch«, rief ich behutsam.
     Der Alte öffnete die Augen und drehte seinen Kopf zu mir.
     »Ach, Sie sind das…« Er streckte die Hand zur Leitung aus und zog sie aus der Steckdose. Der Raum wurde plötzlich völlig dunkel. Eine Zeitlang saßen wir schweigend da.
     »Danke, daß Sie gekommen sind… Es ist sehr schwer!« drang aus der Dunkelheit die dumpfe Stimme des alten Mannes zu mir. »Bringen Sie mich nach Hause, Gena, Lieber… Ich fürchte, allein schaffe ich es nicht.«
     Wir erhoben uns von den Stühlen und gingen tastend aufeinander zu. Ich faßte den Alten unter, sein Arm winkelte sich gehorsam. Ignati Semjonowitsch wankte. Er war leicht und willenlos wie ein Pappmännchen.
     Draußen dämmerte es. Wir gingen durch den Park. Vom Laufen kam Ignati Semjonowitsch ein wenig zu Kräften, und dann begann er zu reden. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte.
     In seiner Jugend hatte er Angst vor dem Leben, er verhärtete sich und wurde verschlossen. Damals war er im Grunde schon ein alter Mann. Er fürchtete selbst in Gedanken ein Risiko, und bald verwandelte sich das in eine Gewohnheit, und er meinte, eine solche Lebensauffassung sei die einzig richtige und mögliche. Ignati Semjonowitsch kämpfte im Krieg und bekam Auszeichnungen. Er kämpfte »verläßlich«, wie er sich ausdrückte, das heißt, er tat das, was ihm befohlen wurde, und er tat nichts, was verboten war.
     »Wissen Sie, Gena, in gewissem Sinne fühlte ich mich als Soldat innerlich leichter«, sagte er. »Sicherer.«
     Nach dem Krieg wurde er Physiker. Mit ihm zusammen studierten mehrere heutige Akademiemitglieder. Als Studenten bewunderten sie ihn, denn im Unterschied zu ihm machten sie vieles falsch. Ignati Semjonowitsch merkte, daß er kein Talent besaß, und beschloß, sein Ziel anders zu erreichen – mit Fleiß und Geduld.
     So wählte er seine Lebensstrategie.
     »Ich wurde instruktiv«, sagte Ignati Semjonowitsch. »Wissen Sie, was das ist? Erst war es mein Schutz, dann wurde es zur Waffe. Heute habe ich das begriffen… Aber das ist nicht das Schlimmste. Heute habe ich begriffen, daß Talent Selbstvertrauen bedeutet, an sich glauben und gleichzeitig an sich selber zweifeln. Zu gleichen Teilen!« rief Ignati Semjonowitsch. »Unbedingt zu gleichen Teilen! Darin liegt das Geheimnis…«
     Er hatte viele Zweifel und wenig Selbstvertrauen. Bald schwand das Selbstvertrauen völlig, aber seltsamerweise verschwanden damit auch die Zweifel! Er zweifelte nicht an der Richtigkeit seiner Lebensstrategie.
     Ich erinnerte mich plötzlich an Arsiks Worte über das Rasiermesser, das von beiden Seiten geschärft wird.
     »Aber viel Selbstvertrauen und wenig Zweifel ist auch schlecht«, meinte Ignati Semjonowitsch, wobei er mich von der Seite ansah. Was wollte er damit sagen?
     Vielleicht heißt Talent – Gewissen?
     »Ich habe mich jetzt genau betrachtet«, fuhr Ignati Semjonowitsch fort. »Das habe ich lange nicht mehr getan, das hatte ich mir verboten. Höchstens einen flüchtigen Blick –

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