Das Elfenportal
Teppiche bedeckten den Boden und an jeder Wand hingen schwere Samtvorhänge. Vor dem riesigen Schreibtisch lagen zwei kostbare weiße Tigerfelle und in kunstvoll gearbeiteten Glasvitrinen waren mehrere morgenländische Skulpturen ausgestellt. Aber das Exotischste im Raum war Chalkhill selbst. Er trug einen Federhut und ein wallendes pfauenblaues Gewand sowie golddurchwirkte Pantoffeln. Speckfalten hingen ihm vom Gesicht und von den Armen.
»Ja, Pratellus, mein lieber Pratellus, was haben Sie denn da für mich?« Er tippelte mit einer für seine massige Gestalt bemerkenswerten Anmut durch den Raum und nahm Pyrgus minutenlang in Augenschein. »Ein Junge! Wie aufmerksam, Pratellus, wie aufmerksam.« Von Nahem konnte Pyrgus sehen, dass er Rouge aufgetragen hatte.
»Bei einem Einbruch erwischt, Mr Chalkhill«, sagte Pratellus schmeichlerisch. »Hat eine unserer Katzen mitsamt ihren Jungen gestohlen. Ich vermute, er war hinter«, er senkte die Stimme und warf einen Blick über die Schulter, bevor er den Satz zu Ende führte, »der Formel her.«
Chalkhill sah begeistert aus. »Ein Dieb! Ein hübsches kleines Diebchen! Nun, dafür hat er eine Strafe verdient, nicht wahr? Was sollen wir tun, Pratellus? Sollen wir ihn schlagen? Sollen wir ihm eine harte, aber herzliche Lektion erteilen? Ach, das verspricht unterhaltsam zu werden!« Er beugte sich in einer Parfümwolke vor, und Pyrgus merkte, dass er zum ersten Mal im Leben jemanden vor sich hatte, gegen den er bereitwillig ein Halekmesser benutzt hätte.
Er fragte sich kurz, ob er Chalkhill ins Auge spucken sollte, begnügte sich aber damit, ihm »Bleib bloß weg, du stinkender Kübel Schweinefett!« entgegenzuschleudern.
»Ooooh«, sagte Chalkhill und sah schmunzelnd zu Pratellus. »Wie geistreich! Wie temperamentvoll!«
»Er ist ein übler Bursche, Mr Chalkhill. Er war gerade dabei, meine Wachen zu verprügeln, als ich ihn gefunden habe. Der Himmel weiß, welchen Schaden er angerichtet hätte, wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre.«
Pyrgus sah den Captain finster an, sagte jedoch nichts. Ihm ging allmählich auf, dass es bei Chalkhill & Brimstone von Lügnern nur so wimmelte.
»Dann haben Sie ein Lob verdient, Captain Pratellus«, sagte Chalkhill. Er lächelte Pyrgus an, und über seine Zähne tanzten Regenbogenfunken. »Ja nun, mein kleiner Wadenbeißer, was sollen wir mit dir tun?«
»Mich sofort gehen lassen!«, verlangte Pyrgus. »Oder mein Vater wird Sie – «
»Aha, ein Vatersöhnchen, ja? Also ich habe mich ja immer mehr zu meiner Mutter hingezogen gefühlt, aber über Geschmack lässt sich nicht streiten. Ich fürchte, ich bin von deinem Vater nicht sonderlich beeindruckt, mein Junge. Er ist groß, nicht wahr? Und hat einen Haufen Muskeln? Herrje, ich hab ja solche Angst.« Er wandte sich an Pratellus. »Nun, Captain, Sie haben ihn befragt, nehme ich an?«
»Ja, Mr Chalkhill. Gerissenes Bürschchen, Sir – hat nichts verraten. Darum bringe ich ihn ja zu Ihnen. Ich dachte, Sie hätten vielleicht Lust, ihn zu foltern.«
»O ja«, sagte Chalkhill begeistert. »Ich hätte durchaus Lust, ihn zu foltern, keine Frage. Aber bevor wir es… auf die Spitze treiben, sollte ich ihm vielleicht einmal selbst ein paar Fragen stellen. Ich habe festgestellt, dass doch einige Leute recht gern mit mir plaudern, die kurz zuvor noch bei jemand anders den Mund nicht aufgekriegt haben.« Er wandte sich wieder an Pyrgus. »Was bringt einen netten Jungen wie dich dazu, in das Werksgelände eines respektablen Unternehmens einzubrechen?«
»Respektabel?«, japste Pyrgus. Plötzlicher Zorn siegte über seinen Entschluss zu schweigen. »Welches respektable Unternehmen ertränkt Katzenjunge in Leim?«
Chalkhill riss mitfühlend die Augen auf. »Wir machen uns Sorgen um kleine Kätzchen, ja? Aber begreifst du denn nicht, mein armes Kind, dass es hier in der Gegend viel zu viele streunende Katzen gibt? Die meisten von ihnen führen ein schrecklich unglückliches Leben. Krankheit… Hunger… wir tun ihnen einen Gefallen, wenn wir ihre Zahl dezimieren.«
»Und profitabel ist es auch noch«, höhnte Pyrgus.
»An Profit ist nichts auszusetzen«, sagte Chalkhill vergnügt. »Junge Leute halten nicht viel von diesen Dingen, aber ich bin sicher, dein ehrwürdiger Vater würde mir zustimmen. Verdient ein ordentliches Sümmchen, nicht? Arbeitet doch auch für ein profitables Unternehmen?« Er hob die Hand. »Nein, erspare mir deinen Vortrag, Junge. Der Captain hat Recht. Wenn du
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