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Das elfte Gebot

Das elfte Gebot

Titel: Das elfte Gebot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lester del Rey
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Tür konnte Boyd sehen, wie sie den Korridor betraten und sich entfernten. Nun waren nur noch die beiden gewöhnlichen Priester anwesend, die Boyd hergebracht hatten; sie saßen im anderen Raum und paßten auf. Einer von ihnen sah auf, als Boyd die Tür schloß, doch er sagte nichts. Der Raum hatte keine andere Tür, auch kein Fenster, daher war es nicht nötig, ihn direkt zu beobachten.
    Er fand Essen und Wasser, das man für ihn zurückgelassen hatte. Beides schlang er gierig hinunter und genoß den Geruch und den Geschmack. Der Verstand, das erkannte er nun voll und ganz, war lediglich eine Reaktion auf äußerliche Stimuli. Ohne diese Stimuli konnte es keine Reaktion geben – und ohne Reaktion konnte der Verstand nicht existieren. Dieses Mal hatte er gewonnen. Doch das Ganze würde wieder und wieder geschehen. Und irgendwann einmal würde er entweder so geschwächt sein, daß er die Ideen von Swartz als seine eigenen akzeptieren würde, oder aber es würde ihm nicht mehr gelingen, die Realität wieder in den Griff zu bekommen. Auf längere Sicht konnte er das alles nicht durchstehen, und das Wissen darum schwächte ihn zusätzlich, was auch ein Bestandteil ihrer Pläne war. Je intelligenter er war, desto mehr mußte er einsehen, wie hoffnungslos sein Widerstand war, und desto leichter wurde es für ihn nachzugeben. Für diese spezielle Situation wäre es besser für ihn gewesen, wenn er dumm geboren worden und als ignoranter, vom Aberglauben besessener Dummkopf wie die beiden Wächter vor seiner Tür aufgewachsen wäre.
    Plötzlich lachte er. Nun hatte er nichts mehr zu verlieren. Er hatte sich lange genug an die Regeln gehalten, die jemand anders diktiert hatte. Dieses Mal würde er seine Taten seinem eigenen Diktat folgen lassen.
    Der Boden des Tellers ergab einen akzeptablen Spiegel. Er begann vorsichtig, sich in Gesicht und Nacken zu kneifen, dann in die Hände. Er mußte das wieder und wieder tun, doch schließlich war er so übersät von Wundmalen, wie er es gewollt hatte.
    Der Stoff seiner Robe war, um einen Finger gewickelt, rauh genug, die bereits angegriffene Haut zum Bluten zu bringen, wenn man fest genug rieb. Zusätzlich biß er sich auf die Lippen, bis noch mehr Blut floß. Es war nicht allzu schwer, ein Nasenbluten vorzutäuschen, wenn man es nicht näher in Augenschein nahm.
    Er stieß einen Schrei aus, und danach brachte er, so gut er es vermochte, vollkommene Verzweiflung zum Ausdruck. Als die Tür geöffnet wurde, kauerte er sich in die entfernteste Ecke, die Hände vor sein Gesicht geschlagen. Er stöhnte erneut und blinzelte zwischen seinen Fingern hindurch. Der zweite Priester gesellte sich zu dem ersten, beide starrten sie ihn an. Dann schluckte einer und deutete auf Boyds Hände.
    Er sprang auf die Beine und versuchte, noch weiter in die Ecke zu kriechen, wobei er sie seine blutenden Lippen und die Nase sehen ließ. „Blut!“ schrie er. „Vorsicht! Blut!“
    Er bewegte sich auf die Tür zu und taumelte dabei ein wenig. Noch einmal schrie er seine Warnung hinaus. Dann begann er zu rennen.
    Sie stürzten davon, in ihren Gesichtern war die nackte Panik zu lesen. Sie hatten jene entsetzliche Angst vor Blutern, mit der er gerechnet hatte. Alles was sie wollten, war, aus seiner Nähe entkommen. Es war ihnen noch nie in den Sinn gekommen, daß ein Bluter sie angreifen könnte – was wahrscheinlich auch kein wirklicher Bluter getan hätte, denn bei ihnen gab es eben diese tiefe, ihnen eingehämmerte Ethik, die sie zwang, den Normalen aus dem Weg zu gehen.
    Die äußere Tür hielt sie auf. Boyd schnellte zu ihnen hinüber und schlug wild ihre beiden Köpfe gegeneinander, ohne Rücksicht darauf, ob er sie tötete oder nicht. Trotzdem erleichterte es ihn herauszufinden, daß sie nur das Bewußtsein verloren hatten. Einer von ihnen hatte eine kleine Pistole, die er einsteckte, bevor er sich durch den Korridor entfernte.
    Wahrscheinlich würden die beiden Männer, wenn sie das Bewußtsein wiedererlangten, ihn noch immer für einen Bluter halten. Auf jeden Fall würde eine Suchaktion nach ihm auf der Annahme beruhen, daß er versuchen würde, die Kathedrale zu verlassen. Statt dessen aber folgte er den Hinweisschildern, die weiter ins Innere des Bauwerks wiesen, bis er eine Wendeltreppe fast im Herzen des großen Gebäudes fand. Das Glück war auf seiner Seite, denn zu dieser schienen nur wenige Leute unterwegs zu sein. Er befand sich schon weit über dem Erdgeschoß, als er endlich auf einen Mann

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