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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Adern aber offensichtlich Familienblut floss: dem Leibarzt Israel de Espinosa, Lissabon, im Monat Nisan im Jahre 5062 nach dem jüdischen Kalender, oder im Mai 1302.
    Der Text war nicht chronologisch geordnet. Salman fiel auf, dass Israel ihn in aller Eile geschrieben haben musste, denn es schien, als hätte sich die gesamte Geschichte der Espinosas gleichzeitig zugetragen. Alles war ein großes Durcheinander, skizzenhaft, mit vielen Namen, manchmal unabgeschlossenen Anekdoten, plötzlichen Einfällen und augenscheinlich irrelevanten Kommentaren. Doch das schreckte Salman nicht ab, der fasziniert las, ohne etwas zu überspringen.
    Eifrig blätterte er voran, um mehr über seinen Ursprung zu erfahren. Als er schließlich erkannte, dass er einem Geschlecht angehörte, das einen Auftrag von größter Wichtigkeit zu erfüllen hatte, quälte ihn seine Einsamkeit nicht mehr. Sein Leben bekam einen Sinn, und er beschloss herauszufinden, was Moses Prophezeiung beinhaltete, und um jeden Preis das unverständliche Dokument zu dechiffrieren.
    Im flackernden Schein der Kerze, in langen Winternächten, wenn kalte Winde um das Haus des Kaufmanns Abudalfia heulten, versuchte Salman, der Welt entrückt, dem kodierten Dokument sein Geheimnis zu entlocken. Die Monate vergingen, doch der Wille des Jungen war ungebrochen. Nichts bedeutete ihm mehr, als zu finden, wonach er suchte. Er hatte das Gefühl, seine gesamte Zukunft hinge davon ab, den Text zu entschlüsseln.
    Schließlich, in einer Frühlingsnacht, als das Glück, das Schicksal und die Zeit sich in einer günstigen Konstellation befanden, verlief der Schnittpunkt dieser Kräfte direkt durch das schon leicht vergilbte Dokument, und der Text eröffnete Salman sein dunkles Geheimnis. Das Herz schlug ihm im Halse, als er das Rezept des Elixiers der Unsterblichkeit las, sowie die jahrhundertealte Warnung, dass man niemals auch nur ein paar Tropfen dieses Getränks einnehmen und dass das Geheimnis niemals einem anderen als dem ältesten Sohn offenbart werden dürfe.
DER ERBITTERTE FEIND DES TODES
    Salman hasste den Tod. Er sah sich selbst als dessen erbitterten Feind. Der Tod hatte ihn all seiner Nächsten beraubt. Vier Brüder. Der Vater. Die Mutter. Rabbi Tibbon.
    Warum war der Tod so grausam? Was wollte er ihm sagen? Er wunderte sich über dessen Unerbittlichkeit. Gleichzeitig war er sich vollkommen bewusst, dass der Tod das einzig Sichere war im Leben. Alles, was geboren wurde, musste eines Tages sterben, auch wenn niemand weiß, wann und wie.
    Doch nun, da das Elixier der Unsterblichkeit in Reichweite war, wurde Salman von der Lust gepackt, den Tod herauszufordern und ihn zu besiegen.
    Es war um vieles schwieriger, das Gewächs Raimundo zu züchten, als Salman vermutet hatte. Eine Pflanze nach der anderen welkte dahin, und er hatte den Verdacht, es läge an der Sommerhitze. In der lauen Herbstluft begann Raimundo endlich zu sprießen. Weitere drei Monate kostete es ihn, das Elixier fertigzustellen.
    Es schmeckte scheußlich, doch Salman war fest entschlossen, den Tod zu überwinden, und schluckte schnell sieben Tropfen. Danach hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen.
    Mitten in der Nacht erwachte er mit hohem Fieber und Schmerzen. Er war dunkelblau im Gesicht und schwitzte Blut durch die Stirn. Sein Jammern weckte das ganze Haus. Man schickte nach einem Arzt, der Salman überall drückte und befühlte. Der Arzt kratzte sich am Kopf und zwang den jungen Mann, aufzustehen und eine Reihe eigenartiger Bewegungen zu machen. Dann kitzelte ihn der Arzt unter den Fußsohlen und in den Achselhöhlen, um dann mit betrübtem Lächeln die Diagnose zu stellen: Salman sei körperlich gesund, vielleicht etwas schwach, doch er habe eine seelische Krankheit, die daher resultiere, dass er etwas Schweres und Schmerzliches erlebt habe, das er in seinem Herzen verborgen habe. Deshalb sei der Körper voll vom Phlegma der Bitterkeit, welches Fieber und Zittern der Muskulatur hervorrufe. Woher die Blutung aus der Stirn rührte, konnte der Arzt nicht mit Gewissheit sagen. Er hatte den Verdacht, dass es die ungewöhnliche Form eines inneren Reinigungsprozesses sei, nicht unähnlich dem, der regelmäßig bei Frauen stattfinde. Er trug Salman auf, jeden Tag drei Knoblauchzehen zu essen, um das Fieber zu senken, ansonsten solle er drei Tage lang keine feste Nahrung zu sich nehmen.
    Am nächsten Morgen war Salman fieberfrei und es fehlte ihm nichts.
JAHRE DES GLÜCKS
    Drei Jahre später heiratete Salman

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