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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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eines Angehörigen des medizinischen Ordens möglich, diese Kräfte im Körper eines Patienten voll zu mobilisieren und ihm damit zur Selbsterneuerung zu verhelfen: neue Glieder nachwachsen zu lassen, eine neue Lunge, eine neue Leber. Die Ärzte, Tauchern gleich, versenkten sich in die Anatomie ihrer Patienten und kommandierten die Heilkräfte des Körpers im Kampf gegen eingedrungene Krankheitserreger.
    Cyro rief diese Kräfte jetzt wach. Um sie her, Schicht auf Schicht und hoch wie der Horizont, lagen die Zellen des kranken Körpers, jede mit ihren dreißigtausend Genen, still und scheinbar ohne Leben. Dann, als sie ihr Bemühen fortsetzte, bekam sie Verstärkung. Langsam und widerwillig sammelten sie sich um sie, wie Ratten, die aus den Trümmern einer zerstörten Stadt kriechen. Feind voraus! pulsierte sie ihnen zu und bewegte sich zugleich tiefer in die zerrissene Dunkelheit hinein. Mehr und mehr kamen ihr zu Hilfe und erleuchteten die Kloakengänge der Nieren mit ihren inneren Feuern.
    Körper wie kleine Fledermäuse lösten sich aus der Dunkelheit, wurden paralysiert und verzehrt. Und dann ging der Feind zum Angriff über. Er schlug mit der Plötzlichkeit einer zuschnappenden Falle zu.
    Er war anders als alles, was die Lehrbücher kannten – unbekannt, unerkennbar. Er kämpfte nach Gesetzen und mit Kräften, die nur ihm eigen waren. Er war monströs, bestialisch. Cyro war sich nur bewußt, daß ein radioaktives Partikel in ein Gen eingedrungen war und eine abnorme, mutierende Zelle produziert hatte, eine Zelle mit ungewöhnlichem Appetit. Nichts in ihrer Ausbildung hatte sie auf solch unwahrscheinliche Zufallsverkettungen vorbereitet.
    Dieser Appetit war in einem schlafähnlichen Zustand der Inaktivität gewesen, bis sie gekommen war. Sie hatte ihn ausgelöst, erweckt, sie hatte die Zelle mit dem Hauch ihrer Bewußtheit gestreift. Und sofort hatte sich die Zelle mit einer eigenen Bewußtheit gefüllt. Und diese Bewußtheit war Eroberungsdrang.
    Sie sah, fühlte und hörte, wie dieses neue Bewußtwerden Zelle auf Zelle erfaßte, wie es sie, einem Rasenden gleich, der durch leere Zimmer stürzt, mit seiner Rebellion erfüllte. Die Heilkräfte bei ihr wurden aufgezehrt oder flohen. Auch Cyro versuchte zu fliehen. Ihr Körper war die einzige Zuflucht, die es für sie gab.
    Aber der Feind holte sie ein, durchdrang sie wie einen Schwamm. Kleine, triumphierende Kreaturen stürzten sich auf sie, überschwemmten sie selbst und ihren Körper, löschten ihr selbständiges Bewußtsein aus …
     
    *
     
    Gerund und Cheddi saßen rauchend auf einer Bank, unter den Augen des Graubärtigen. Geleerte Tassen standen neben ihnen. Sie warteten unruhig auf Cyro, und je länger sie warteten, desto unruhiger wurden sie.
    »Ich habe noch nie erlebt«, sagte Gerund, »daß sie so lange mit einem Fall zu tun hat. Gewöhnlich dauert es fünf bis zehn Minuten. Sobald sie die Heilkräfte organisiert hat, kommt sie zurück. Das war immer so.«
    »Dieser Ingenieur«, sagte Cheddi nachdenklich. »Den muß es ziemlich schlimm erwischt haben.«
    »Gewiß, aber trotzdem … Noch fünf Minuten, dann gehe ich hinein und sehe nach.«
    »Das ist nicht erlaubt«, erklärte der Graubart. Es war das erste Mal seit einer Stunde, daß, er den Mund auftat. Und was er sagte, war die Wahrheit. Arzt und Patient waren während des Behandlungszeitraums durch strenge Etikette geschützt; ihr Zusammensein durfte nicht gestört werden. Nur ein anderer Arzt hatte das Recht, sie zu beobachten. Niemand wußte das besser als Gerund, und auch er verspürte eine starke Abneigung, seine Frau im Trancezustand zu sehen. Trotzdem, Cyro war seit einer Dreiviertelstunde in der Zelle, und es mußte etwas geschehen.
    Nach drei Minuten stand er auf und ging an die Tür des Krankenzimmers. Auch der Graubart erhob sich. Ärgerlich rief er Gerund zu, er solle umkehren und sich auf seinen Platz setzen. Als er sah, daß Gerund sich nicht um ihn kümmerte, wollte er ihn am Betreten der Zelle hindern, aber Cheddi versperrte ihm den Weg.
    »Setz dich hin oder ich reiße dir die Nase ab«, sagte Cheddi. »Ich bin stark, und ich habe sowieso nichts Besseres zu tun.«
    Der alte Mann warf einen Blick in Cheddis Gesicht, dann kehrte er gehorsam um und setzte sich. Gerund nickte seinem Diener zu, öffnete die Tür zur Krankenzelle und schlüpfte hinein.
    Ein Blick zeigte ihm, daß etwas nicht stimmte. Seine Frau und der massige Ingenieur lagen Seite an Seite. Ihre Arme berührten

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