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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Körper.
    Ein graubärtiger und gebeugter Wachmann mit schwachen Augen, wie sie alle hatten, die viele Jahre in unterseeischen Städten verbracht hatten, stellte sich als Laslo vor. Er hatte Dienst und war für die Kranken in seiner Etage zuständig. Außer ihm und dem Kranken, von dessen Anwesenheit sie wußten, schien der moderig riechende Bau völlig leer zu sein. Im Korridor herrschte Totenstille, und kein anderer Mensch war zu sehen.
    »Sehen Sie zu, was Sie für den armen Kerl tun können, Doktor«, sagte einer der Beamten. Er schüttelte Cyro die Hand. »Der Kapitän der Bartlemeo wird vermutlich bald anrufen. Inzwischen lassen wir Sie hier in Ruhe.«
    »Danke«, sagte Cyro abwesend. Ihre Gedanken waren bereits weit von ihnen entfernt. Sie ließ sich die Zelle des Kranken zeigen, ging hinein und schloß die Tür hinter sich, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
    Gerund und Cheddi standen eine Weile ziellos herum, dann ging Cheddi zum Tor und schaute auf die Straße. Dann und wann kamen Leute vorbei, aber keiner warf einen Blick nach links oder rechts. Die schlechtbeleuchteten Häuserfronten, viele aus nacktem Riffgestein herausgehauen, sahen wie die Wohnungen von Toten aus. Cheddi zog die Schultern ein und rieb sich die Oberarme mit seinen dicken Händen. »Ich will nach Hause«, sagte er. »Hier ist es kalt.« Ein Tropfen Kondenswasser fiel vom Dach und zerplatze auf seinem Kopf. »Hier ist es kalt und feucht«, verbesserte er sich.
    Der graubärtige Wachmann beobachtete ihn wortlos. Ein langes Schweigen setzte ein. Sie standen da und warteten fast ohne einen Gedanken.
     
    *
     
    Sobald Cyro Gyres die Tür der Krankenzelle hinter sich geschlossen hatte, legte sie sich neben den Kranken auf das Bett. Regard war ein vierschrötiger Mann. Unter der dünnen Decke zeichnete sich sein grobknochiger, nach Atem ringender Körper ab. Dunkle Bartstoppeln bedeckten seine bleichen, fleischigen Wangen. Er war ohne Besinnung.
    Seine Bewußtlosigkeit erleichterte Cyros Arbeit. Sie entspannte ihre Muskeln und atmete tief und gleichmäßig. Nach einigen Minuten war der Zustand vollkommener Konzentration hergestellt; sein Pulsschlag schien stärker und stärker zu werden, und sie konnte darin untertauchen.
    Sie versank in einem trüben roten Nebel, einem formlosen, alles umschließenden Nebel. Sie schien sich mit dem Strom ihres eigenen Blutes zu bewegen, aber es war ein Treiben ohne Orientierung. Es gab keine Dimensionen mehr, kein Gefühl für oben und unten.
    Die Selbstversenkung in die somatische Welt ihres körperlichen Universums hatte ihr außer dem Wollen fast jede andere Fähigkeit genommen. Sie konnte weder denken noch sich erinnern, nicht handeln, sprechen oder sich bewegen, doch ein Schatten aller dieser Dinge blieb in ihr zurück. Sie ließ sich von ihrem eigenen Blutstrom forttreiben, durch eine Welt verschwommener Umrisse und Formen, die seltsam belebt waren und Assoziationen mit Fischen und Bäumen hervorriefen, bis vor ihr eine schwankende Klippe aufragte.
    Die Klippe erfüllte das Universum, gewaltig wie die Zeit, substanzlos wie Musselin, pockennarbig mit Löchern, durch die gespenstische Kreaturen kamen und gingen. Sie trieb hindurch, ohne einen Widerstand zu fühlen, wie Plankton, das durch einen Schwamm gesogen wird.
    Nun hatte sie ihr Bewußtsein, ihre Psyche in Je Regards Arm übertragen. Der somatische Kontakt war hergestellt.
    Ihre Umgebung war so unheimlich und seltsam und zugleich so vertraut wie zuvor. Auf dieser Ebene der Zellen konnte es keinen Unterschied zwischen ihrem und seinem Körper geben. Und doch war es anders. Aus den Dickichten seines Fleisches beobachteten sie fremde und unsichtbare Augen und verfolgten mißtrauisch und bösartig ihren Weg. Denn sie war ein Eindringling, der sich ins Innere einer fremden Welt begab, die darauf eingestellt war, Eindringlingen keine Gnade zu gewähren.
    Als sie tiefer eindrang, verstärkte sich die Aktivität ringsum. Sie wurde weitergeschwemmt, durch Bögen, durch wirres Gezweig, durch Netze und Dickichte wie aus Tang, und der Weg voraus wurde dunkel und eng. Obwohl sie noch immer weitertrieb, ging es jetzt langsamer; die halb lebendigen Dinge um sie her schienen sich vor ihr zu winden und zurückzuziehen. Sie war in der Nähe der am schwersten geschädigten Partie, den Nieren.
    Schon vor langer Zeit hatte die Medizin die Kräfte der Selbstheilung entdeckt, die in jedem Körper schlummern. Heutzutage war es mit der psychischen Überwachung und Hilfe

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