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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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einander. Beide hatten die Augen geöffnet, aber es waren kalt und leer glotzende Augen, wie von toten Fischen. Ihre Körper lebten jedoch. In kurzen Abständen wurden sie von Zuckungen durchlaufen, zitterten und krümmten sich, bevor sie wieder zur Ruhe kamen. Cyros Haut hatte stellenweise eine blaurote Tönung angenommen; es sah aus, als wäre sie mit Blutergüssen bedeckt.
    Gerund stand starr vor Entsetzen und Angst. Er war unfähig, eine Entscheidung zu treffen oder etwas zu unternehmen.
    Eine schwarze Schabe krabbelte am Bettgestell empor. Sie lief über das Laken und kam mit zehn Zentimetern Abstand an Je Regards bloßem Fuß vorbei, der unter der Decke herausragte. Plötzlich verformte sich ein Teil seiner Fußsohle und bildete einen dünnen Stiel aus, nicht viel stärker als ein Grashalm. Der Stiel umschlang die Schabe mit der Schnelligkeit einer vorschießenden Reptilienzunge. Das Insekt zappelte hilflos mit den Beinen. Gerund brach ohnmächtig zusammen.
    Nun begann sich das Fleisch auf dem Bett rascher zu verändern. Es hatte sich organisiert. Es quoll auf, verformte sich, zog sich mit schmatzenden Geräuschen zusammen. Die Schabe wurde absorbiert. Allmählich formierte sich die Masse neu, zu einer einzigen Gestalt: Cyros. Gesicht, Körper, Haar- und Augenfarbe, alles wurde in ihre Form gepreßt, bis zum letzten Fingernagel.
    Gerund schlug die Augen auf und setzte sich stöhnend aufrecht. Erstaunt starrte er in der Zelle umher. Er glaubte, daß seine Bewußtlosigkeit nur eine Sekunde gedauert haben konnte, doch der kranke Mann war fort! Wenigstens sah Cyro jetzt besser aus. Sie lächelte ihm zu. Vielleicht war er in seiner Angst und Besorgnis einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen; vielleicht war alles in Ordnung. Doch als er Cyro etwas genauer betrachtete, schwand seine Zuversicht wieder dahin.
    Es war unheimlich. Die Person, die daauf dem Bett saß, war Cyro. Und trotzdem – jede Linie ihres Gesichts, alle die feinen Konturen, die Gerund so gut kannte, die er liebte, hatten eine undefinierbare Veränderung durchgemacht. Sogar die zarte, glatte Haut war anders, dicker und grobporiger. Er bemerkte, daß ihre Finger gewachsen waren. Und dann war da noch etwas – sie war zu groß. Sie war zu groß und zu dick, um Cyro sein zu können, wie sie da auf dem Bett saß und ihn anzulächeln versuchte.
    Gerund stand mit wankenden Knien auf. Er war nahe bei der Tür. Er konnte weglaufen oder Cheddi rufen, wie sein Instinkt es ihm riet.
    Doch er bezwang seinen Instinkt. Cyro war in Gefahr, in höchster Gefahr. Dies war seine Stunde, jetzt konnte er ihr seine Liebe beweisen. Liefe er weg, wäre alles verloren. So oder ähnlich ging es Gerund durch den Kopf, denn er konnte nicht glauben, daß der Gleichgültigkeit seiner Frau etwas anderes zugrundelag als mangelndes Vertrauen in seine Integrität. Er wandte sich ihr zu und versuchte, ihr furchterregendes Äußeres zu übersehen.
    »Cyro«, fragte er, »Cyro, was ist geschehen? Was kann ich tun? Sag mir, wie ich dir helfen kann.«
    Die Kreatur auf dem Bett öffnete ihren Mund. »Es wird mir gleich bessergehen«, sagte sie mit tiefer, rauher Stimme. Die Worte stimmten nicht ganz mit den Lippenbewegungen überein. Schwerfällig erhob sie sich vom Bett. Sie war zweieinhalb Meter groß und dabei stämmig. Gerund starrte sie wie hypnotisiert an, aber er beherrschte sich mit größter Willensanstrengung und hielt ihr sogar die Hand hin. »Es ist nur meine Frau«, sagte er sich. »Es ist nur meine Frau.« Aber als sie mit schweren Schritten auf ihn zutappte, verlor er die Nerven. Er drehte sich zur Tür, doch es war zu spät. Das Monstrum streckte die Arme nach ihm aus und zog ihn zurück.
     
    *
     
    Cheddi langweilte sich. Er war des Wartens überdrüssig. Bei aller Zuneigung, die er für seine Herren empfand, gab es doch Zeiten, wo er sein Dienerdasein verfluchte. Unter den mißbilligenden Blicken des alten Wachmannes legte er sich auf die Bank, um ein Nickerchen zu machen. Gerund würde ihn rufen, wenn er ihn brauchte.
    Eine Klingel schrillte. Nach einem letzten mißtrauischen Blick auf Cheddi ging der alte Mann, um den Anruf zu beantworten. Cheddi verschränkte die Arme unter dem Kopf und versuchte zu schlafen. Nach ein paar Minuten vernahm er schlurfende Schritte und öffnete blinzelnd ein Auge. Eine monströse Gestalt, deren Einzelheiten im trüben Licht des Korridors unkenntlich blieben, bewegte sich auf acht oder zehn Beinen zum Ausgang und verschwand auf der

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