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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Schreibtisch liegen?
    In der Stille, die auf Gerunds Bericht folgte, hörten wir das Angelusläuten der Kirchtürme von Praia. Es linderte meinen Schmerz nicht, und der harte, heiße Saharawind verwehte die Töne. Ich wußte schon, daß sich eine Dunkelheit über uns senkte, die keine Gebete erhellen würden.
    »Also«, sagte ich endlich, »in meiner Eigenschaft als Gefängnisdirektor muß ich zuerst einmal darauf hinweisen, daß Sie, Gerund Gyres, wie ich Sie nennen muß, einen Mord begangen haben. Sie selbst gaben soeben zu, meinen diensttuenden Gefängniswärter getötet zu haben.«
    »Das war ein Irrtum«, sagte Gerund. »Sie müssen verstehen, daß ich – der ich eine Zusammensetzung aus Je Regard, Cyro Gyres und Gerund Gyres bin, nicht zu reden von den zahlreichen Fischen, die ich unterwegs zur Wasseroberfläche absorbiert habe – daß ich also glaubte, ich könnte jedes menschliche Wesen absorbieren. Das hätte nicht den Tod bedeutet; wir sind am Leben. Aber Ihr Wächter ließ sich nicht völlig absorbieren. Er starb während des Absorptionsprozesses. Und Cheddi hier widersetzte sich von Anfang an der Absorption, als ich ihn berührte.«
    »Warum ist das nach Ihrer Meinung so?« fragte ich.
    Er brachte ein Lächeln zustande, vor dem ich meine Augen abwenden mußte. »Wir lernen schnell«, sagte er. »Wir können keine Menschen absorbieren, die sich nicht bewußt sind, ein Teil des Prozesses der Natur zu sein. Wenn sie der veralteten Vorstellung anhängen, der Mensch sei eine besondere Spezies, widersetzen sich ihre Zellen den unseren, und die Absorption findet nicht statt.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie nur – ah – kultivierte Menschen absorbieren können?« fragte ich.
    »Genau. Bei Tieren ist es anders. Ihr Bewußtsein ist nur ein natürlicher Prozeß; sie stellen kein Hindernis für uns dar.«
    Ich glaube, dies war der Augenblick, wo Cheddi sich über das Geländer schwang und unten in den Oleanderbüschen landete. Er rappelte sich unverletzt auf und rannte davon. Wir sahen ihm nach, wie er die staubige Straße nach Praia hinunterraste. Ich hoffte, der Diener würde Hilfe holen. Wenn Gerund Gyres das gleiche dachte, so ließ er es sich nicht anmerken.
    »Wirklich, ich glaube nicht, daß ich etwas von dem verstehe, was Sie da sagen«, erklärte ich, um Zeit zu gewinnen. Und um die Wahrheit zu sagen, ich hatte es in diesem Augenblick auch noch nicht begriffen. Sein Anblick machte mich so krank, daß sich das ganze Gefängnis um mich zu drehen schien. Dieser Pseudomensch machte mir mehr Angst, als ich jemals geglaubt hatte, empfinden zu können. Obwohl ich weder Leben noch Tod fürchte, fröstelte ich beim Anblick dieses Halb-Lebendigen vor Entsetzen.
    »Ich verstehe nicht, wieso Sie nur kultivierte Leute absorbieren können«, sagte ich lahm.
    »Kultur bedeutet Erkenntnis. Heute gibt es nur einen Weg zur Erkenntnis: durch Galingua. Ich kann nur die Zellen jener befreien, die fähig sind, dieses semantische Werkzeug zu benützen, deren ganze biochemische Gebundenheit dadurch bereits schmiegsam geworden ist. Der Unfall, von dem Je Regard betroffen wurde, setzte Fähigkeiten frei, die in jedem Galingua sprechenden Menschen schon latent vorhanden sind. Hier und jetzt ist ein riesengroßer Schritt nach vorn getan worden – unerwartet zwar, und dennoch ein unausweichlicher Höhepunkt in der Anwendung von Galingua.«
    »Sie sind also«, sagte ich, und in dem Maß, wie ich zu verstehen begann, wurde mir wohler, »der nächste evolutionäre Schritt, wie er von Pamlira in seiner Paraevolution vorausgesagt wurde?«
    »Grob gesprochen, ja«, sagte er. »Ich besitze die totale Bewußtheit, von der Pamlira gesprochen hat. Jede meiner Zellen hat diese Gabe; darum bin ich unabhängig von festen, vorgegebenen Körperformen, dem Fluch jeder vielzelligen Kreatur vor mir.«
    Ich schüttelte meinen Kopf.
    »Mir scheinen Sie kein Fortschritt, sondern eine Rückentwicklung zu sein«, sagte ich. »Der Mensch ist ein komplizierter, von Genen gesteuerter Mechanismus. Sie sagen, Sie können sich in einzelne Zellen aufteilen, aber einzelne Zellen sind sehr frühe und einfache Formen des Lebens.«
    »Alle meine Zellen haben ein Bewußtsein«, sagte er emphatisch. »Das ist der Unterschied. Gene bauen Zellen auf, und Zellen formieren sich zu einem Körper. Aber sie tun es, um ihr Potential zu entwickeln, nicht das des Menschen. Die Vorstellung, der Mensch sei entwicklungsfähig, war eine rein anthropomorphische Vorstellung.

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