Das Ende - Alten, S: Ende
wollen Sie von mir?«
»Ich will den Impfstoff. Ihr Pilot hat es bis Inwood Hill geschafft, bevor er im Park notlanden musste. Wer ist er? Wohin würde er wohl gehen?«
»Er heißt Sergeant Patrick Shepherd. Er ist einer meiner Patienten.«
Jay Zwawa tippte die Information in seinen BlackBerry. »Ist er ein Veteran?«
»Ja. Heute Morgen trug er noch eine linke Armprothese. Seine Frau und seine Tochter leben irgendwo in Battery Park.«
»Wie heißt seine Frau?«
»Beatrice Shepherd.«
»Sergeant?«
»Ja, Sir?«
»Nehmen Sie Dr. Nelson die Handschellen ab. Sie kommt mit mir.«
Battery Park, Manhattan, New York
21:11 Uhr
Beatrice Shepherd verließ das nördliche Treppenhaus des zweiundzwanzigstöckigen Wohngebäudes. Panik erfüllte sie, denn ihre Tochter war noch immer nicht zu Hause. Sie ging bis zum Eingang der Lobby, blieb dann aber abrupt stehen und verbarg sich im Schatten.
Der Tod hielt Manhattan in seinem Bann und ließ den Big Apple bis hinab auf den Kern verfaulen. Er lag mit ausgestreckten Armen und Beinen am Straßenrand unter dem Baldachin des Gebäudes und blutete auf den Bürgersteig. Er lauerte auf dem Fahrersitz eines Taxis, dessen Motor noch lief. Er infizierte Busse über die ganze Länge eines Häuserblocks hinweg und ließ die lebenden Toten durch die Straßen irren – verzweifelte, verängstigte Touristen, die nicht wussten, wohin sie gehen sollten.
Auf der anderen Straßenseite warf ein Vater von drei Kindern einen Pflasterstein durch die Glastür einer abgedunkelten Pfandleihe. Ein Besucher aus England, der Schutz für seine Familie suchte. Das Mündungsfeuer der Schrotflinte war blendend hell und tödlich, als der Ladenbesitzer, der sich in der Dunkelheit zusammenkauerte, hinaus in die Nacht schoss.
Beatrice zog sich aus der Lobby zurück. Gott hatte ihr ein Zeichen gegeben. Ihre Tochter würde leichter einen
Weg nach Hause finden als sie selbst ihr Kind in diesem Chaos.
Sie würde in ihrer Wohnung bleiben und beten.
Zufahrt zur 158 th Street
Henry Hudson Parkway South, Manhattan, New York
21:47 Uhr
Sie hatten zwanzig Minuten bis zur Unterführung der George Washington Bridge gebraucht. Je näher sie kamen, umso lauter wurde das Chaos. Schreie und Hilferufe klangen hohl in der kalten Dezemberluft; immer wieder wurden sie vom Stakkato ferner Schüsse übertönt. Über dem Hudson hörte man das Echo merkwürdig surrender Geräusche, die von unsichtbaren, hoch fliegenden Drohnen stammten. Patrouillenboote glitten mit dröhnenden Motoren durch die Dunkelheit, die Suchscheinwerfer auf den Fluss gerichtet. Hoch über ihnen auf dem Cross Bronx Expressway erhellten zahllose Feuer die Nacht, ein Muster orangefarbener Flecken. Dutzende Fahrzeuge brannten und beleuchteten die Silhouetten des sich zusammenrottenden Mobs.
Der Gestank der schwelenden Brücke war noch immer überwältigend.
Patrick und Virgil eilten an den östlichen Fundamenten der Brücke vorbei, blieben dabei aber hinter dem mittleren Fahrbahnteiler des Henry Hudson Parkway in Deckung. Nachdem das Labyrinth der Verbindungsstraßen, das zu der zerstörten Brücke führte, hinter ihnen lag, kletterten sie über eine knapp anderthalb Meter hohe Begrenzungsmauer, um auf die nach Norden führenden Fahrspuren zu gelangen, und gleich darauf über ein
Stahlgeländer, hinter dem sie die Zufahrt zur 158 th Street erreichten. Die lange, gewundene Straße war völlig verlassen und zog sich steil abfallend und scheinbar endlos dahin. Die beiden Männer setzten ihren Weg fort. Kleine Atemwölkchen schwebten vor ihren Gesichtern in der kalten Luft.
»Virgil, in der Klinik hast du gesagt, dass alles eine Ursache und eine Wirkung hat.«
»Bring die Ursache in Ordnung, dann bringst du auch die Wirkung in Ordnung.«
»Und wie willst du das hier in Ordnung bringen? Die Menschen sterben zu Tausenden. DeBorn und seinesgleichen stürzen die Welt in einen neuen Krieg. Wie könnte man so viel Böses jemals in Ordnung bringen? «
»Eine zeitlose Frage. Soll ich als Psychiater oder als spiritueller Berater antworten?«
»Das ist mir egal. Ich will einfach nur wissen, wie das gehen soll.«
Der alte Mann ging weiter, ohne innezuhalten, und dachte darüber nach, was er erwidern sollte. »Ich werde dir eine Antwort geben, aber sie wird dir nicht gefallen. Das Böse dient einem Zweck. Es ermöglicht die Wahl des Guten. Ohne das Böse gäbe es keine Verwandlung – Verwandlung ist das Verlangen, die eigene selbstsüchtige
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